Süddeutsche Zeitung

Profil:Asghar Farhadi

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Der Regisseur erzählt Alltags-Geschichten aus Iran, das ist dem Regime nicht geheuer.

Von Susan Vahabzadeh

Asghar Farhadi erzählt am liebsten von Menschen, die vor unlösbaren Aufgaben stehen. Der iranische Filmemacher hat für "Nader und Simin - eine Trennung" 2011 den Goldenen Bären der Berlinale und später seinen ersten Oscar gewonnen. Es gibt in diesem Film eine tragikomische Szene über ein solches Dilemma: Eine junge Frau, streng gläubig, hat in Teheran eine Arbeit angenommen, sie passt auf einen dementen Mann auf. Als er sich in die Hose macht, ruft sie die islamische Hotline an, um zu fragen, ob es nicht eine Ausnahme gibt für diesen Fall, sodass sie dem alten Herrn die Hosen ausziehen darf. Darf sie nicht. Sie tut es trotzdem.

Asghar Farhadi, 1972 in der Nähe von Isfahan geboren, gilt als einer der besten Filmemacher der Welt, als perfekter Geschichtenerzähler, der seine Figuren in wenigen Pinselstrichen zeichnen kann. Nun wird sein neuer Film "Everybody knows" am Dienstagabend die Filmfestspiele in Cannes eröffnen. Farhadi hat in Spanien gedreht; Penélope Cruz spielt eine Frau, die mit ihrer Familie in ihre Heimatstadt kommt und dort auf eine alte Liebe trifft, gespielt von Javier Bardem. Doch bald ist ihre Tochter verschwunden.

Die iranische Zensurbehörde kann sich bei Asghar Farhadi nie ganz sicher sein, ob einer seiner Filme subversiv ist. Wenn ja, dann sind sie es auf eine Art, die sich schwer nachweisen lässt. Sie beschreiben jedenfalls sehr genau das Leben in Iran. Die Hotline beispielsweise für kritische Fälle, in denen der Alltag die Religionsausübung behindert - die gibt es wirklich. In "Nader und Simin" geht es um eine Frau, die unbedingt raus will aus Iran und ihren Mann, der sich durch seinen dementen Vater an seine Heimat gebunden fühlt - und dann angezeigt wird, weil die Zugehfrau seinetwegen ihr Kind verloren haben soll. Wie er die Konflikte dieser Menschen zeigt, wie unaufgeregt er den Graben sichtbar macht zwischen den Teheraner Intellektuellen und den streng gläubigen einfachen Leuten aus der Vorstadt, das galt zu Recht als meisterlich. In Iran reagierte man verhalten und Farhadi blieb nach seinem Berlinale-Sieg vorsichtshalber in Europa und kehrte erst zurück, als der Reformer Hassan Rohani 2013 Präsident wurde. Farhadi drehte in dieser Zeit in Frankreich "Le passé - Das Vergangene", ein Mann kommt da zu seiner Exfrau und versucht, ihr zu helfen - sie ist schwanger von ihrem verheirateten Freund, dessen Frau liegt nach einem Selbstmordversuch im Koma, alle fühlen sich schuldig. Auswegloser geht es kaum.

2017 hat Asghar Farhadi wieder einen Oscar gewonnen, für seinen Film "The Salesman", und natürlich sind die Iraner sehr stolz auf ihn - einerseits. Andererseits ist Asghar Farhadi alles andere als ein zuverlässiger Kulturbotschafter des Regimes. Im vergangenen Jahr geriet er unter Beschuss, weil in der israelischen Zeitung Haaretz ein Interview mit ihm erschienen war. Er hätte einer israelischen Zeitung kein Interview geben dürfen, hieß es. Aber es ist schwer, gegen das zu argumentieren, was er sagte. Alles, so Farhadi, sei immer eine Frage der Perspektive - und das Wichtigste als Erzähler sei für ihn, seinen Zuschauern eine Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven zu zeigen. "Ich würde mich nie auf meinen eigenen Blickwinkel zurückziehen."

Dieses subtile Ausleuchten von Sachverhalten hat ihm als Regisseur und Drehbuchautor so viel Respekt eingebracht - auch wenn das bedeutet, dass man ihn nur schwer auf eine Position festlegen kann. Er betrachtet alles von allen Seiten, und das einzige Urteil, das am Ende möglich scheint, ist das der Vernunft. Jeder Idealist, sagt Farhadi, möchte die Welt verändern. "Wir wollen der Welt die Form geben, die wir uns wünschen. Aber die Welt gehört allen möglichen Leuten, und manche wollen sie vielleicht, wie sie ist oder wie sie sie sich perfekt vorstellen. Wir können die Welt nicht nach unserem Willen verändern, also verändern wir uns besser selbst."

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SZ vom 08.05.2018
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