Süddeutsche Zeitung

Pro Direktwahl des Bundespräsidenten:Spitzenfunktion fürs Spitzenamt

Lesezeit: 3 Min.

Die Legitimation bei Spitzenämtern lässt in Deutschland zu wünschen übrig. Daher sollte der Bundespräsident direkt gewählt werden. Das macht aber nur Sinn, wenn er mehr Macht bekommt.

Bernd Oswald

Am Samstag tritt die Bundesversammlung zusammen, um den Bundespräsidenten zu wählen. Weiß man überhaupt, wer in dieser Bundesversammlung sitzt? Wissen Sie, dass das 612 Bundestagsabgeordnete und genau so viele Vertreter aus den Bundesländern sind. Wissen Sie, wie diese Ländervertreter benannt werden? Nein? Dann dürften Sie in guter Gesellschaft sein, denn vermutlich wissen die meisten Deutschen das nicht. So demokratisch ausgewogen die Bundesversammlung auch sein mag, sie ist ein sonderbares Konstrukt. Das deutsche Staatsoberhaupt wird also von einem Kollegium gewählt, das - von wenigen Spitzenpolitikern mal abgesehen - weitgehend unbekannt ist und zum überwiegenden Teil nur indirekt gewählt ist. Identifizieren kann man sich mit so einem Gremium nicht.

Eine Direktwahl des Bundespräsidenten könnte diesen Mangel beseitigen. Was gibt es mehr, als sich auf ein direktes Votum der Bürger im Lande berufen zu können? Auf fast allen politischen Ebenen im Lande kennen wir das: Bürgermeister, Landräte sowie die Hälfte der Landtags- und Bundestagsabgeordneten werden direkt gewählt. Die oft so abstrakte Politik ist leichter greifbar, wenn sie personalisiert ist, wenn konkrete Gesichter dahinterstehen. Höchste Zeit, dass wir auch ganz oben so verfahren.

Natürlich würde eine Direktwahl zu einer Politisierung des Amtes führen. Und ja: Es gäbe dann auch einen Wahlkampf. Aber das wäre doch ein Gewinn im Vergleich zu dem fast schon verschämten monatelangem Herumgedruckse der Kandidaten in den Monaten vor der Wahl. Ein Wahlkampf sei der Würde des Amtes nicht angemessen, heißt es. Was, bitte, ist unwürdig daran, wenn die 82 Millionen Deutschen im Vorfeld erfahren, welche Akzente ein Bundespräsident in spe gerne setzen möchte und wenn er Missstände beim Namen nennt?

Gegner der Direktwahl führen als wichtigstes Argument die schlechten Erfahrungen in der Weimarer Republik an. In ihren bewegtesten Zeiten ernannte und entließ Reichspräsident von Hindenburg die Reichskanzler alle paar Monate, regierte mit Notverordnungen am Parlament vorbei. Diese Form der Doppelspitze bekam der jungen Demokratie nicht gut und bereitete den Boden für ihr Scheitern. Insofern ist es gut nachvollziehbar, dass die Macher des Grundgesetzes die Befugnisse des Präsidenten deutlich zurechtstutzten und ihm eine fast ausschließlich repräsentative Rolle zudachten.

Das Grundgesetz ist nun aber 60 Jahre alt (die Wahl des Bundespräsidenten am 23. Mai ist eine Remineszenz daran) und die Bedenken von damals sind weitgehend gegenstandslos geworden. Das Grundgesetz - obschon als Provisorium gedacht - hat Deutschland ein stabiles politisches System beschert. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft ist Geschichte, der Kanzler ist dem Parlament verantwortlich und nicht vom Wohlwollen des Bundespräsidenten abhängig. Da die Regierung nur stabil sein kann, wenn der Bundeskanzler im Parlament eine Mehrheit hinter sich hat, verbietet sich eine Direktwahl des Regierungschefs.

Würde der Bundespräsident direkt gewählt, könnte sich zumindest ein Spitzenrepräsentant des Staates auf ein direktes Wählervotum berufen. All die anderen Spitzenämter werden durch die Abgeordneten, also indirekt, vergeben.

Ein direkt gewählter Bundespräsident hätte natürlich ein ungleich größeres Maß an Legitimation als ein vom Bundestag gewählter Kanzler. Das würde auch bedeuten, dass das Wort des Präsidenten deutlich mehr Gewicht bekommen würde.

Vor einem stärkeren Bundespräsidenten brauchen wir in unserer gefestigten Demokratie aber keine Angst mehr zu haben. Der zahnlose Tiger, der der Bundespräsident momentan ist, ist zum Anachronismus geworden. Wenn wir uns schon so ein Spitzenamt leisten, dann soll es auch eine Spitzenfunktion haben.

Damit es aber nicht zu Kompetenzstreitigkeiten kommt, wäre eine klare Aufgabentrennung zwischen Kanzler und Präsident nötig. Da der Bundespräsident ohnehin schon für die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands zuständig ist, also internationale Verträge unterzeichnen muss, und auch an der Außendarstellung unseres Landes beteiligt ist, böte sich die Außenpolitik an. Dem Kanzler bliebe dann die Verantwortung für die Innenpolitik. Unsere französischen Nachbarn machen es auch so.

Keine Frage: Das wäre ein großer Eingriff in unser politisches System, zugleich aber die logische Schlussfolgerung, wenn man die Direktwahl-Forderung mit ihren Folgen für die Regierungspraxis zu Ende denkt.

Die Direktwahl des Staatsoberhauptes wäre ein Forschritt für die demokratische Kultur in unserem Land - man muss sie nur richtig anpacken.

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