Süddeutsche Zeitung

Pflege:Praxistauglich

Die Bundesregierung will die Branchenlöhne stärken - endlich.

Von Henrike Rossbach

Löhne kommen in einer Marktwirtschaft durch Angebot und Nachfrage zustande, rechnen die Ökonomen vor. Das aber ist natürlich bloß Theorie. Tatsächlich handeln in Deutschland Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften Tarifverträge aus. Das nennt sich Tarifautonomie und funktioniert grob nach der Formel: Je mächtiger und besser organisiert die Arbeitnehmerseite ist, desto höhere Löhne kann sie durchsetzen.

In vielen Branchen aber ist dieses Kräftemessen ein ähnlich theoretisches Konzept wie das rein ökonomische. Eine davon ist die Pflege. Denn die Arbeitgeberlandschaft ist, betrachtet man die privaten Träger, zersplittert und kleinteilig. Gewerkschaftsarbeit gleicht einem Häuserkampf, der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist gering. Das Ergebnis sind niedrige Löhne, häufig nur der Pflegemindestlohn, und fehlende Tarifverträge.

Dass die künftige Bundesregierung sich nicht heraushalten, sondern die Tarifverträge, die es gibt, auf die gesamte Branche ausweiten will, ist sicher nicht die formschönste Lösung - gemessen am Leitbild der Tarifautonomie. Richtig ist es dennoch. Auch ein funktionierendes und menschenwürdiges Pflegewesen taugt als Leitbild, gerade in einer alternden Gesellschaft. Hinzu kommt, dass für die Lohnfindung eine weitere, eher schlichte Daumenregel gilt: Geld wird verdient, wo Geld verdient wird. Dass es auch deshalb in der Pflege düsterer aussieht als in der Automobilindustrie, darf der Politik nicht egal sein.

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Quelle:
SZ vom 23.02.2018
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