Süddeutsche Zeitung

Pflege:Ein Beruf vom Reißbrett

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Fachkräfte aus vorher drei Sparten sollen künftig gemeinsam lernen. Doch es gibt Zweifel, ob das gut geht.

Von Kim Björn Becker, München

In der Diskussion um die von der Koalition angestrebte Reform der Pflegeausbildung stehen sich Regierungsfraktionen und Opposition unversöhnlich gegenüber. Zwar erheben beide Seiten die Forderung, dass die Pflege gestärkt und das Berufsbild attraktiver werden müsse. Auf diese Weise, so lautet das gemeinsame Argument, würden sich in Zukunft mehr junge Menschen für einen Pflegeberuf entscheiden, und der wachsende Fachkräftemangel in der Versorgung alter und kranker Menschen könnte gedämpft werden. Doch wie genau das gelingen kann, darüber gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen. Der Streit schwelt bereits seit einigen Wochen, doch die Differenzen wurden am Freitagmorgen in besonderer Weise deutlich: Der Bundestag hat sich an diesem Tag erstmals mit dem vom Kabinett Mitte Januar vorgelegten Pflegeberufsgesetz beschäftigt. Grüne und Linke kritisierten das Vorhaben der Regierung als unzureichend und brachten eigene Anträge in die Beratung ein.

Aus drei Sparten wird eine - die neue Bezeichnung lautet Pflegefachfrau/-mann

Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass das Schulgeld nunmehr in allen Bundesländern abgeschafft wird. Außerdem soll ein Pflegestudium eine Karriere in der Branche ermöglichen. Im Mittelpunkt steht jedoch der Plan der Koalition, einen neuen Beruf zu begründen. Die bisherigen drei eigenständigen Ausbildungsgänge zum Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpfleger sollen abgeschafft werden, dafür soll eine einheitliche Ausbildung zur Pflegefachfrau beziehungsweise zum Pflegefachmann kommen. Die Reform soll von 2018 an greifen. Der Bundesrat sprach sich aber bereits dafür aus, den Betrieben noch ein Jahr mehr Zeit zur Umstellung zu geben. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte am Freitag im Bundestag, dass es bereits jetzt ein "großes Maß an Gemeinsamkeit" zwischen den derzeit noch getrennten Ausbildungen gebe, zum Beispiel im Bereich der Wundversorgung. Daher sei es sinnvoll, die Programme zusammenzulegen. Ergänzend zum Gesetz haben die beteiligten Ministerien - neben dem Gesundheitsressort ist das Familienministerium zuständig - Anfang März ein Eckpunktepapier vorgelegt. Darin ist ein grober Plan der neuen Ausbildung enthalten. Dieser Plan sieht mehrere Praxiseinsätze vor, in denen sich die Auszubildenden bereits frühzeitig auf einen Bereich spezialisieren können. Auf diese Weise, so betonen Union und SPD, sei es auch im neuen Modell möglich, in einem Bereich besondere Fachkenntnisse zu erwerben.

Grüne und Linke zeigten sich davon jedoch nicht überzeugt - sie befürchten, dass durch die Reform wichtiges Detailwissen - etwa bei der Betreuung von Kleinkindern oder von Hochbetagten mit Demenz - verloren gehen könnte. Die pflegepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Elisabeth Scharfenberg, hielt der Koalition "Kaffeesatzleserei" vor. Die Regierung gründe ihre Reform auf "unbelegte Behauptungen" hinsichtlich der erhofften Wirkung der Generalistik. Zudem verlange der Arbeitsmarkt eher eine zunehmende Spezialisierung. "Eine Pflege von der Wiege bis zur Bahre funktioniert nicht", sagte sie. Es entstünden "Bildungslücken" bei den Auszubildenden. Die pflegepolitische Sprecherin der Linken, Pia Zimmermann, sprach von einem "Schmalspurgesetz", das den Anforderungen nicht gerecht werde. Die Altenpflege sei die Verliererin der Reform, da dort weniger gezahlt würde als in Kliniken. Die neuen Absolventen würden sich daher noch seltener dafür entscheiden, in einem Altenheim zu arbeiten. Zudem rügte Zimmermann, dass das Curriculum zu vage sei. "Die Abgeordneten sollen die Katze im Sack kaufen", sagte sie. Grüne und Linke sprachen sich in entsprechenden Anträgen dafür aus, die Generalistik anders zu konzipieren, als es die Koalition vorhat. So sollen die Auszubildenden ein bis zwei Jahre gemeinsam die Grundlagen lernen und sich danach auf einen Bereich konzentrieren. Das sichere die Qualität der Pflege, argumentiert die Opposition.

Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD, wies dieses Ansinnen zurück. Es sei "nirgendwo erwiesen", dass der Plan sich bewähre. Zudem hielt Lauterbach der Opposition vor, mit ihrer Kritik die falschen Interessen zu unterstützen. Die größten Kritiker der Reform sind die privaten Arbeitgeber - also jene, denen vorgehalten wird, die schlechtesten Gehälter zu zahlen. Es sei "traurig", so Lauterbach, dass die Interessen der Unternehmen auf diese Weise befeuert würden. Das sei "nicht ehrenhaft" von der Opposition. SPD und Union erhoffen sich von der Generalistik hingegen einen stärkeren Wettbewerb zwischen den Sparten. Dieser soll dazu führen, dass gerade die Privaten die neuen Fachkräfte besser bezahlen.

Im Nachgang der Bundestagsdebatte erklärte Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands der privaten Anbieter sozialer Dienste, dass es sich bei dem Gesetz um eine "Konzeption einiger Ideologen" handele, die "nichts mit der betrieblichen und beruflichen Praxis zu tun" habe. Dem entgegnete der Präsident des Deutschen Pflegerats, Andreas Westerfellhaus, die Einführung der Generalistik sei ein "absolut notwendiger Schritt, um auch künftig die Patientensicherheit zu gewährleisten".

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SZ vom 19.03.2016
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