Süddeutsche Zeitung

Peronisten gegen Marktliberale:Pendel der Zerstörung

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Die Wirtschaft in dem einst reichen Land leidet unter politischen Kehrtwenden. Die nächste Volte steht schon bevor.

Von Benedikt Peters

Es gab eine Zeit, in der die Europäer neidisch auf die Argentinier schauten. Anfang des 20. Jahrhunderts fuhr die Oberschicht vom Rio de la Plata gerne mit dem Schiff über den Atlantik, nach Paris zum Beispiel, kaufte sündhaft teure Mode und anderen Luxus, bevölkerte die teuersten Restaurants und feierte ausschweifende Feste. "Riche comme un Argentin", "reich wie ein Argentinier", dieses Sprichwort war in Frankreich in dieser Zeit weit verbreitet.

Auch wenn es nicht allen Menschen so gut ging wie der Oberschicht, Argentinien war damals eines der wohlhabendsten Länder der Erde. Die Wirtschaft wuchs kräftig, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf war deutlich höher als zum Beispiel in Deutschland. Argentinien war einer der großen Profiteure des Freihandels, der damals mit nur sehr wenigen Einschränkungen funktionierte, das Land exportierte Getreide und Rindfleisch in die Welt. So wurde es auch zu einem Magneten für Einwanderer aus dem krisengeschüttelten Europa, lange bevor sich mancher NS-Verbrecher dort versteckte.

Der große lateinamerikanische Schriftsteller Octavio Paz hat einmal geschrieben: "Die Mexikaner kommen von den Azteken. Die Peruaner kommen von den Inkas. Und die Argentinier kommen von den Schiffen." Seit diesen goldenen Zeiten hat Argentinien es fertiggebracht, von einem sehr reichen wieder zu einem Schwellenland zu werden, zeitweise sogar zum Paria der internationalen Staatengemeinschaft. Warum das so ist, dafür gibt es eine Erklärung, die in Ansätzen auch in der Panik nach den Vorwahlen vom vergangenen Wochenende aufscheint. Die Kandidaten für die nächste Präsidentschaft, der Amtsinhaber Mauricio Macri und sein peronistischer Herausforderer Alberto Fernández, vertreten wirtschaftspolitische Positionen, die sich nicht bloß unterscheiden. Sie stehen sich radikal entgegen.

Die Gegensätzlichkeit der Wirtschaftsmodelle durchzieht die Geschichte

Diese Gegensätzlichkeit durchzieht die argentinische Politik beinahe seit den erwähnten goldenen Zeiten. Diese endeten zunächst durch die Weltwirtschaftskrise von 1929, in deren Folge nahezu überall auf der Welt die Handelsschranken hochgezogen wurden. Auch den argentinischen Exporteuren schadete das massiv. Seitdem pendelt die argentinische Wirtschaft zwischen zwei radikalen Modellen, die sich immer wieder abwechseln - mal ausgelöst durch Staatsstreiche, mal durch Wahlen: Ein Staatschef kommt an die Macht und legt sein wirtschaftspolitisches Programm auf; wenige Jahre später kommt ein anderer und macht alles rückgängig.

Für das eine Modell steht zuvorderst der berühmte Caudillo Juan Domingo Perón, der zum ersten Mal 1946 an die Macht kam. Perón verschärfte die protektionistische Handelspolitik, zu der sich seine Vorgänger nach der Weltwirtschaftskrise angesichts der Einschränkungen des Freihandels gezwungen gesehen hatten. Er verhängte hohe Schutzzölle, die helfen sollten, eine eigene Industrie aufzubauen. Argentinien sollte künftig nicht mehr von Importen abhängig sein. Zudem ließ er Betriebe verstaatlichen, zum Beispiel die Eisenbahn, und legte Sozialprogramme auf, für die einige Argentinier Perón und insbesondere dessen zweite Frau Evita noch bis heute verehren. Der Präsidentschaftskandidat Fernández und seine Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin, Ex-Staatschefin Cristina Kirchner, sehen sich in seiner Tradition und bezeichnen sich selbst als Peronisten.

Das andere Modell besteht darin, alles anders zu machen als Perón. Es wurde immer mal wieder für ein paar Jahre probiert, etwa in den Sechzigerjahren und während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983. Niemand aber verkörperte es so stark wie der ab 1989 regierende, demokratisch gewählte Präsident Carlos Menem. Kaum im Amt, führte er eine Reihe neoliberaler Reformen durch; er reprivatisierte die Eisenbahn und zahlreiche weitere öffentliche Betriebe, oft wurden sie unter Wert verkauft. Menem kürzte Sozialausgaben, gab die Preise frei und koppelte den argentinischen Peso an den Dollar. Die argentinischen Produkte aber erwiesen sich auf dem Weltmarkt als nicht konkurrenzfähig, die Währung als überbewertet. Von 1998 an schlitterte das Land in eine tiefe Rezession, 2001 sogar in den Staatsbankrott - mit verheerenden sozialen Folgen. 2002 lebten fast zwei Drittel der Bewohner des einst so reichen Landes unter der Armutsgrenze.

Auch nach der großen Krise setzte sich das Muster fort. Mal kam ein Linker an die Macht, 2003 etwa Néstor Kirchner, der keinen Hehl daraus machte, dass er sich um die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds nicht scherte. Er brüskierte die USA und fand einige Verbündete im damals von Linken dominierten Lateinamerika, und zunächst hatte er damit auch wirtschaftlich Erfolg. 2007 übernahm Kirchners Ehefrau Cristina. Sie agierte jedoch insgesamt glückloser, was dazu führte, dass 2015 der Liberale Mauricio Macri an die Macht kam, der bis heute amtiert. Er versuchte, die linke Politik seiner Vorgänger mit neoliberalen Reformen rückgängig zu machen und schlitterte erneut in eine tiefe Rezession.

Es ist eine Frage der Weltanschauung, welches der beiden Modelle man für besser hält. Die überwiegende Mehrheit der Ökonomen aber ist einig darin, dass der ständige radikale Umbau dazu führt, dass sich die argentinische Wirtschaft seit so langer Zeit kaum entwickelt. Die nächste Volte könnte im Oktober anstehen, wenn wieder ein Präsident gewählt wird. Der Peronist Fernández gilt seit dieser Woche als haushoher Favorit.

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SZ vom 16.08.2019
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