Süddeutsche Zeitung

Ohnesorg und die DDR:Taumeln von einer Lüge zur anderen

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Warum die Spitzel-Karriere des Karl-Heinz Kurras nicht bedeutet, dass Benno Ohnesorg im Auftrag der Stasi getötet wurde.

Willi Winkler

Meinungsbildend wollte Bild schon immer sein und ganz besonders dann, wenn es um den Kommunismus ging und alles, was sich als links verteufeln ließ. "In Berlin gab es bisher nur Terror östlich der Mauer", erklärte Bild seinen Lesern die Vorgänge vom 2.Juni 1967 in Berlin. "Gestern haben bösartige und dumme Wirrköpfe zum ersten Mal versucht, den Terror in den freien Teil der Stadt zu tragen."

Die Zeitung meinte damit die verwirrten Westberliner Studenten, die auf den abseitigen Gedanken gekommen waren, gewaltlos gegen den bei den Bild-Lesern so hochgeschätzten Schah von Persien zu demonstrieren. Während der orientalische Potentat in Begleitung seiner Frau, des Berliner Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz sowie des Bundespräsidenten Heinrich Lübke in der Deutschen Oper einer Aufführung der "Zauberflöte" beiwohnte, räumte die Polizei den Platz vor der Oper, jagte die Demonstranten in die Nebenstraßen und knüppelte auf alles, was sich bewegte.

"Hier wird ein junger Mann mit Fäusten geschlagen. Als er am Boden liegt, trampeln die Beamten mit Füßen auf seinem Körper herum. Ein uniformierter Polizist stößt ihm immer wieder mit der Schuhspitze gegen die Schädeldecke. Ich traue meinen Augen nicht und protestiere vernehmlich", berichtete ein Augenzeuge im Kölner Stadt-Anzeiger und fuhr fort: "Statt mir aber seine Dienstnummer auszuhändigen, pöbelt mich der Polizist an. Ich rufe einen Offizier. Der raunt dem Schläger zu: 'Hauen Sie ab hier'."

Aber für die Leser der Bild-Zeitung war es nicht die Polizei, die an jenem Abend den Terror ausübte. Bild meinte auch nicht den Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras, der ohne Vorwarnung den unbewaffneten Romanistikstudenten Benno Ohnesorg durch einen Schuss in den Hinterkopf tötete, sondern die dummen Studenten, die sich der Polizeigewalt und den Ordnungsrufen von Bild und B.Z. einfach nicht fügen wollten.

Mehr als 40 Jahre nach dem tödlichen Schuss, der die Studentenbewegung radikalisierte und dazu führte, dass ein paar gewaltbereite Aktivisten die Terrorgruppen "Rote Armee Fraktion" und "Bewegung 2. Juni" gründeten, scheint sich die Hetzrede von Bild auf grausam ironische Weise zu bestätigen. Nach einem Aktenfund, der Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs in der Birthler-Behörde gelungen ist, kam diese spezielle Form des Terrors tatsächlich aus dem Osten. Der Todesschütze Kurras, der in mehreren Verfahren freigesprochen wurde, war offenbar ein langjähriger Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit.

Kaum vorstellbar, wie viele Agenten sich in Westberlin herumtrieben

Dennoch wäre es lächerlich, bei der Tötung Ohnesorgs die Stasi am Werk zu sehen. Die DDR verfügte über Hunderte, vielleicht sogar ein paar tausend Informanten in der Bundesrepublik und in Westberlin. Auch wenn ihr krakenhaftes Wesen mit den Jahren, da sie verschwunden ist, immer noch irrsinnigere und absurdere Formen angenommen hat, wird sich bei der Stasi 1955, als sich Kurras schriftlich verpflichtete, niemand der Vorstellung hingegeben haben, dass dieser Kurras zwölf Jahre später genau diesen arglosen Studenten Ohnesorg erschießen würde, um damit eine Revolte in Gang zu setzen, die in den siebziger Jahren kurze Zeit die Stabilität des Systemgegners Bundesrepublik zu bedrohen schien.

Heute ist es kaum mehr vorstellbar, wie viele Agenten sich im alten Westberlin herumtrieben, die für alle möglichen klandestinen Unternehmungen wirkten. Kurras war nur einer, und dazu noch ein besonders unangenehmer. Ein anderer war der Augenzeuge, der den Lesern des Kölner Stadt-Anzeigers über die Berliner Ereignisse berichtete. Er hieß Walter Barthel und kann als Musterexemplar für die berlintypisch innige Verflechtung von Staatsschutz, Stasi und Studentenpolitik gelten: Er war führendes Mitglied in dem von Hans Magnus Enzensberger und Ossip K. Flechtheim gegründeten Republikanischen Club, Redakteur beim linken extradienst, arbeitete als IM "Kurt" der Stasi zu und wirkte außerdem und für alle Fälle für den Westberliner Verfassungsschutz.

Gegen eine derart farbige Biographie verblasst selbst die von Kurras. Noch bunter trieb es der agent provocateur Peter Urbach. Der kam zwar aus dem Ostteil der Stadt, bezog sein Geld aber vom Westen, genauer gesagt vom Westberliner Verfassungsschutz und kann als besonderer Schützling des damaligen Innensenators Kurt Neubauer gelten. In dessen Auftrag freundete er sich mit den Mitgliedern der Kommune I um Fritz Teufel und Rainer Langhans an.

Nicht soviel Ungeschick unterstellen

Urbach war es, der jene präparierte Bombe anbrachte, die 1969 von einer Gruppe um Dieter Kunzelmann im Jüdischen Gemeindehaus platziert wurde, und Urbach war es, der, wiederum im Auftrag des Verfassungsschutzes, Horst Mahler und seine Freunde von der späteren RAF für ihren Weg in den Untergrund mit Schusswaffen ausrüstete. Selbst beim übelsten Willen wird man der DDR soviel Ungeschick nicht unterstellen.

Für die Stasi kam die Bluttat ihres Mitarbeiters Kurras ebenso überraschend wie ein paar Jahre später die Karriere des Perspektivagenten Günter Guillaume, der es vom SPD-Unterbezirksgeschäftsführer bis ins Vorzimmer von Bundeskanzler Willy Brandt brachte.

Nachdem Kurras gegen eine saloppe Entschuldigung von einer willfährigen Berliner Justiz selbst von einer Anklage wegen Totschlags freigesprochen wurde, erklärte der Philosoph Theodor W. Adorno am 23. November 1967 zu Beginn seiner Vorlesung über "Ästhetik": "Die Affektarmut des 'Es tut mir leid' verklagt ihn ebenso wie das unpersönliche 'dass dabei ein Student ums Leben gekommen ist'. Das klingt, als hätte am 2. Juni eine objektive höhere Gewalt sich manifestiert und nicht Herr Kurras, zielend oder nicht, auf den Hahn gedrückt. Solche Sprache ist zum Erschrecken ähnlich der, die man in den Prozessen gegen die Quälgeister der Konzentrationslager vernimmt."

Stasi hin oder her, auch nach den neuesten Aktenfunden bleibt es dabei, dass am 2. Juni 1967 ein junger Mann sterben musste, weil er das demokratische Recht wahrnahm, gegen einen Schah zu demonstrieren, der zu Hause foltern ließ und dafür in Berlin von den Spitzen der Gesellschaft hofiert wurde. Der heute 81-jährige Karl-Heinz Kurras ging straffrei aus und verblieb im Staatsdienst.

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SZ vom 23.05.2009/ihe
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