Süddeutsche Zeitung

Österreich:Wahl gewonnen, trotzdem verloren

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Endlich steht fest: Der SPÖ-Vorsitzende Alfred Gusenbauer wird neuer Bundeskanzler. Denoch: Die siegreichen Sozialdemokraten haben zu wenig für sich herausgeschlagen.

Michael Frank

Lange lebte Alfred Gusenbauer, Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und neuer Regierungschef, mit dem Nimbus des erfolglosen Siegers: So manche Abstimmung gewann er, andere aber wussten glänzender zu siegen.

Bei der Parlamentswahl kam es ähnlich, nur mit umgekehrten Vorzeichen: Die SPÖ verlor leicht, aber der alte Widersacher, die Volkspartei (ÖVP) mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel an der Spitze, verlor diesmal spektakulär und geriet ins Hintertreffen.

Und wieder dreht sich alles um: Wahl gewonnen, Koalitionsverhandlungen verloren.

So raunten sich am Montag in den Säulenhallen des Wiener Parlaments die Beobachter bei der Verkündigung des neuen Bündnisses zu. Die alte Kanzlerpartei ÖVP hatte den Verlust der Führungsrolle lange Zeit nicht akzeptieren wollen.

Konsequent hat sie nun ihre Haut teuer verkauft, da für die Sozialdemokraten kein anderer Bündnispartner für eine Mehrheit im Parlament blieb. Die Christsozialen haben es verstanden, die drei prominentesten Schlüsselministerien zu Schüssel-Ministerien zu machen: Außen-, Innen- und Finanzressort fallen ihnen zu. Letzteres kann mit besonderen Kompetenzen unmittelbaren Einfluss auf die übrigen Ressorts nehmen.

Eine Art eiserner Heinrich

Die große Koalition für Österreich steht fest, aber mit der Zusammensetzung des künftigen Kabinetts geht es zu wie in der Lotterie. Personell ist immer noch nichts amtlich. Finanzminister und Vizekanzler wird allen Gerüchten nach Wilhelm Molterer.

Der Intimus des bisherigen Bundeskanzlers wird sich beweisen müssen: Er gilt als eine Art eiserner Heinrich in seiner bedingungslosen Loyalität, die sich bislang ausschließlich auf seinen Mentor Schüssel sowie das rechte und bürgerliche Lager bezog.

Solche Tugend auch gegenüber dem neuen Regierungschef aus dem roten Lager und dem Anliegen einer Koalition der linken und rechten Mitte zu entwickeln, steht dahin.

Die Sozialdemokraten versuchen indessen, sich ihre schwächelnden Agenden schönzureden: Sie haben alle aus ideologischer Sicht einwandfreien Ressorts an sich gebracht, die also mit Arbeitsbeschaffung, mit sozialer Sicherung und den Dingen der Wohlfahrt zu tun haben.

Große Versuchung

Gusenbauer hat nur die Gestaltungskompetenz gesichert, die sich die SPÖ gewünscht hatte. Zusätzlich schwächt ihn, dass Österreichs Bundeskanzler keine eindeutige Richtlinienkompetenz besitzt, sondern auf die Gefolgschaft seines Kabinetts angewiesen ist.

Man darf gespannt sein, wie im alltäglichen Geschäft sich so etwas wie produktive Augenhöhe zwischen den sich belauernden Partnern einstellen wird. Oder ob sie dem Muster früherer großer Koalitionen folgen und sich in einem hermetischen Pakt die Welt zwischen Rot und Schwarz aufteilen.

Dieser Versuchung zu widerstehen, wird die schwerste Aufgabe der neuen Wiener Regierung sein.

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Quelle:
SZ vom 9.1.2007
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