Süddeutsche Zeitung

Österreich:Übertriebener Kampf gegen Tierschützer

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Menschenrechtler in Österreich sind skeptisch: Sie vermuten, dass die Gesetze zur Terrorabwehr dazu missbraucht werden könnten, Kritiker zu kriminalisieren - aus gutem Grund.

Michael Frank

Nach Ansicht von Menschenrechtsexperten könnte in Österreich der Kampf gegen den Terrorismus dazu missbraucht werden, kritische Organisationen zu kriminalisieren.

Anlass der Kritik ist die Tatsache, dass zehn als militant eingeschätzte Tierschützer inzwischen fast zwei Monate in Untersuchungshaft sitzen und die Haftbefehle soeben um weitere acht Wochen verlängert wurden. Im Morgengrauen eines Maitages hatten in Wien und Umgebung maskierte Soldaten der österreichischen Anti-Terror-Sondereinheit Wega 23 Wohnungen besetzt und die Tierschützer mit groben Methoden festgenommen.

Begründet wurde die Aktion von der Staatsanwaltschaft mit dem Paragraphen 278a des österreichischen Strafgesetzbuches. Der bedroht jeden, der eine "kriminelle Vereinigung" bildet und ist gemünzt auf Terroristen, Drogendealer, Schlepper, Menschenhändler und Kinderschänder.

Er ist aber so vage gefasst, dass ohne weiteres Nichtregierungsorganisationen, die sich bei ihren Protesten im Graubereich zwischen berechtigtem Protest und strafbarer Handlung bewegen, als kriminelle Vereinigung eingestuft werden können.

Der Beschuldigungskatalog im konkreten Fall bewegt sich von Sachbeschädigung über schwere Nötigung, Brandstiftung, Hausfriedensbruch bis zur Bildung einer solchen "kriminellen Vereinigung". Brandstiftung ist bisher nicht belegt. Stinkbomben-Attentate auf Textilgeschäfte, der Einstieg in Tierfabriken, um quälerische Zustände im Bilde zu dokumentieren, sind die Hauptvergehen.

Der Tierschutzsprecher der SPÖ, Dietmar Keck, wirft der Staatsanwaltschaft vor, dies als "organisiertes Verbrechen" in "mafiösen Zusammenschlüssen" zu interpretieren. Während Tierquäler unbestraft herumliefen, säßen die Protestierer, deretwegen es ein akzeptables Tierschutzgesetz gebe, im Gefängnis.

Auch die Oberstaatsanwaltschaft Wien scheint nicht glücklich mit der Sache zu sein. Neutrale Rechtsexperten befürchten, dass der schwammig formulierte Paragraph sogar die bloße Mitgliedschaft in einer engagierten Organisation zum Verbrechen machen könnte. Der Umgang mit den Tierschützern scheint dies zu bestätigen. Österreichs Justizministerin hat sich bislang nicht geäußert.

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Quelle:
SZ vom 12.07.2008/bica
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