Süddeutsche Zeitung

Österreich:Spiel auf Zeit

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Ende September wählt das Land. Sebastian Kurz ist im Umfragehoch, die Konkurrenz muss sich erst noch sortieren.

Von Peter Münch, Wien

Das Rennen ist eröffnet, und die Strecke ist länger als erwartet: Erst am 29. September soll in Österreich ein neues Parlament gewählt werden. Der Nationalrat hat dafür nun die Weichen gestellt, die Übergangsregierung muss den Termin noch per Verordnung offiziell festlegen. Einen Vorgeschmack darauf, wie hart der Wahlkampf in den bis dahin verbleibenden mehr als hundert Tagen geführt werden dürfte, hat schon allein der Schlagabtausch um den Termin für die vorgezogene Neuwahl geliefert.

Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) des ambitionierten Ex-Kanzlers Sebastian Kurz wollte einen früheren Wahltermin und hat sich dabei auch auf den Bundespräsidenten berufen. Alexander Van der Bellen hatte schließlich stets für eine Neuwahl Anfang September plädiert, um die Zeit des Übergangs übersichtlich zu halten. Bei der ÖVP kam gewiss noch das Kalkül hinzu, den Rückenwind zu nutzen, den Kurz seit dem Bruch seiner Koalition mit der FPÖ und seiner Abwahl durch ein Misstrauensvotum verspürt.

Genau dies aber will die Konkurrenz vermeiden, weshalb sich SPÖ und FPÖ auf den späteren Termin geeinigt haben. Beide spielen damit auf Zeit: Die Sozialdemokraten möchten ihrer Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner Zeit zur Profilierung geben; die Freiheitlichen wollen mit der Zeit den Ibiza-Skandal ihres vormaligen Frontmanns Heinz-Christian Strache vergessen machen. Weil die beiden Parteien dabei wie schon beim Misstrauensantrag gegen Kurz und seine Ministerriege gemeinsame Sache machen, malt die ÖVP nun gern das Gespenst eines rot-blauen Bündnisses an die Wand.

Nach dem Erfolg bei der Europawahl hat die ÖVP in den Umfragen sogar noch zugelegt

Das dient der Mobilisierung der eigenen Anhänger. Vor allem aber setzt die Volkspartei auf die Zugkraft von Sebastian Kurz. Der hat in dieser Woche eine Tour durch alle österreichischen Bundesländer gestartet. Um sich ganz dem Wahlkampf widmen zu können, hat er sogar auf ein Parlamentsmandat verzichtet. In den nächsten Wochen dürfte also kaum eine freiwillige Feuerwehr vor ihm sicher sein. Zum Auftakt in Salzburg hat er obendrein noch die Bergrettung und einen Pflegedienst besucht.

Nach dem Erfolg bei der Europawahl mit 34,6 Prozent hat seine ÖVP in den Umfragen sogar noch weiter zugelegt und liegt nun bei 38 Prozent. Bei der Kanzlerfrage erhält Kurz sogar noch mehr Zustimmung, während alle andere Spitzenkandidaten sogar hinter der Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein rangieren. Kurz dürfte nun darauf spekulieren, dass es nach der Neuwahl für ein Bündnis mit den liberalen Neos reicht, eventuell als austriakische Jamaika-Variante erweitert um die wieder erstarkten Grünen. Die beiden Kleinparteien kommen in den Umfragen jeweils auf rund zehn Prozent. Auf den neuesten ÖVP-Plakaten jedenfalls verspricht Kurz den Wählern: "Unser Weg hat erst begonnen."

Während die Volkspartei längst im Kampagnen-Modus läuft, ist die Konkurrenz noch mit der Selbstfindung beschäftigt. Die SPÖ stellt dabei ständig die eigene Spitzenkandidatin Rendi-Wagner infrage. Gerade erst hat die Parteichefin zwar in eigener Sache die Personaldebatten für beendet erklärt. Den Absturz in den Umfragen, in denen die SPÖ teils nur noch bei etwa 20 Prozent geführt wird, hat sie damit aber bislang nicht aufhalten können.

Die FPÖ hat zwar nahtlos den Übergang von der Regierungspartei zur polternden Oppositionskraft geschafft. Das scheint zu reichen, um die Stammwählerschaft zufriedenzustellen, die laut Umfragen ein Ergebnis um die 20 Prozent sichern könnten. Intern aber sind die Freiheitlichen noch stark mit Straches langem Schatten beschäftigt. Zu den Absetzbewegungen des designierten Parteichefs Norbert Hofer zählt wohl auch der Versuch, den Blauen einen grünen Anstrich zu geben. Der Umwelt- und speziell der Klimaschutz würden künftig "starke Schwerpunkte in der FPÖ-Programmatik" sein, kündigte er an. Strache war noch mit Zweifeln am menschgemachten Klimawandel aufgefallen.

Offenkundig hat die FPÖ so viel Gefallen am Regieren gefunden, dass sie auch eine Neuauflage des gescheiterten Bündnisses mit der ÖVP nicht ausschließt. Fraktionschef Herbert Kickl, der in jüngster Zeit vor allem Kurz heftig attackiert hatte, bot ihm nun eine Fortsetzung des "populären gemeinsamen Reformwegs" an. Als Bedingung allerdings nannte er die eigene Rückkehr ins Amt des Innenministers, denn da habe er "noch viel Positives zu erledigen".

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SZ vom 13.06.2019
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