Süddeutsche Zeitung

Regierungskrise in Österreich:Grüne wollen "untadelige Person" statt Kurz

Lesezeit: 2 min

Wegen der jüngsten Korruptionsvorwürfe gegen den österreichischen Kanzler gehen die Grünen auf Distanz. Die Koalition steht auf der Kippe. Bundespräsident Van der Bellen sagt, es handele sich um eine "Regierungskrise, aber sicher keine Staatskrise".

Angesichts der schweren Korruptionsvorwürfe gegen den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz wächst der Riss zwischen den beiden Regierungsparteien des Landes. Die Grünen stellten am Freitag klar, dass eine Fortsetzung ihrer Koalition mit der konservativen ÖVP nur noch ohne Kurz möglich sei. "Es ist ganz klar, dass so jemand nicht mehr amtsfähig ist", sagte die grüne Fraktionschefin Sigrid Maurer in Wien.

Die ÖVP sei nun aufgefordert, eine "untadelige Person" zu nominieren, die die Regierung weiterführen könne. Damit positionieren sich die Grünen nun ausdrücklich gegen Kurz. Zuvor hatten die Grünen seine Handlungsfähigkeit nur infrage gestellt.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den österreichischen Bundeskanzler und gegen einige seiner engsten Vertrauten wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue. Das Team soll Kurz' Aufstieg an die Spitze von Partei und Staat seit 2016 durch geschönte Umfragen und gekaufte Medienberichte abgesichert haben. Dafür seien Steuermittel geflossen.

Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, die am Mittwoch nach einer Razzia im Bundeskanzleramt, dem Finanzministerium und der ÖVP-Parteizentrale bekanntgeworden waren. In der Nachrichtensendung ZiB2 bestritt Kurz am Mittwoch, von den Vorgängen gewusst zu haben. In der Anordnung zu den Hausdurchsuchungen finden sich allerdings zahlreiche Chats zwischen Kurz und dem ehemaligen Generalsekretär und Kabinettschef des Finanzministeriums, Thomas Schmid, aus dem Jahr 2016, die ein enges Verhältnis der beiden nahelegen. Das berichten verschiedene österreichische Medien übereinstimmend.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen mahnte am Freitagabend in einer Ansprache zur Besonnenheit. "Das was wir hier sehen ist allenfalls eine Regierungskrise, aber sicher keine Staatskrise", erklärte er. Die Gewaltentrennung funktioniere, die Justiz mache ihre Arbeit. Dabei gelte weiterhin die Unschuldsvermutung. "Wir wissen nicht, ob diese Ermittlungen zu Anklagen führen." Allerdings ergebe sich ein "Sittenbild, das unserer Demokratie nicht gut tut."

Während Grüne, SPÖ und Neos derzeit keine Neuwahlen gegen den bislang populären Kurz anstreben, schloss FPÖ-Chef Herbert Kickl dies als Option nicht aus. Um die politische Situation zu sondieren, hatte Van der Bellen am Freitag weitere Gespräche mit Parteichefs geführt. Das Staatsoberhaupt müsste nach dem möglichen Platzen der Koalition einer anderen Politikerin oder einem Politiker den Regierungsauftrag erteilen und dabei die Mehrheitsverhältnisse im Parlament im Auge behalten. Ein Ergebnis konnte er am Freitagabend nicht präsentieren. "Was die nächsten Tage bringen werden, kann man heute nicht mit Sicherheit sagen."

Kurz wurde schon einmal per Misstrauensvotum aus dem Amt gedrängt

Am kommenden Dienstag will die Opposition bei einer Sondersitzung des Parlaments einen Misstrauensantrag gegen Kurz einbringen.

Aufgrund der bisherigen Äußerungen gilt es als wahrscheinlich, dass die Grünen als derzeitiger Koalitionspartner der ÖVP dem Sturz von Kurz zustimmen, falls er nicht zuvor zurücktritt. Kurz wurde schon einmal per Misstrauensvotum aus dem Amt gedrängt: Im Mai 2019 stimmte eine Mehrheit im Parlament gegen den ÖVP-Chef und seine gesamte Regierung. Damals folgten Neuwahlen, die Kurz und seine Partei deutlich gewannen. Für einen Rücktritt des Kanzlers noch vor einem weiteren Misstrauensvotum gab es zuletzt keine Anzeichen.

Nach Solidaritätsbekundungen der Teilorganisationen, Länderchefs und Minister der ÖVP versicherte am Freitag auch die Fraktion dem Kanzler ihre Loyalität: "Eine Regierungsbeteiligung der Österreichischen Volkspartei ohne Bundeskanzler Sebastian Kurz wird vom Parlamentsklub der Österreichischen Volkspartei gänzlich ausgeschlossen."

Am Freitag hatten die Grünen Gespräche mit allen Parlamentsparteien begonnen, um künftige Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Für eine mögliche Mehrparteienregierung ohne Beteiligung der ÖVP bräuchten die Grünen allerdings nicht nur die Stimmen der sozialdemokratischen SPÖ und der liberalen Neos, sondern auch jene der rechten FPÖ.

FPÖ fordert Gespräche auf Augenhöhe

Herbert Kickl, der Chef der FPÖ, signalisierte, dass seine Partei eine aktive Rolle in solch einer Regierung einfordern werde. "Ich will Gespräche auf Augenhöhe haben und nicht eine Vorgangsweise, bei der sich mehrere Parteien etwas ausmauscheln und dann kommt man zu den Freiheitlichen und sagt, wir sollen das Ganze unterstützen", sagte er bei einer Pressekonferenz.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5434467
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/dpa/berj/ghe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.