Süddeutsche Zeitung

Österreich:Kanzler-Erwachen

Plötzlich ist Christian Kern da und treibt das Land an.

Von Cathrin Kahlweit

Mehr als hundert Tage ist der neue Bundeskanzler in Wien schon im Amt, und weil die Begeisterung für neue Köpfe im zynischen politischen Betrieb schnell abebbt, wenn nach der Kür nicht umgehend Sensationen oder Skandale folgen, sah es erst einmal so aus, als sei die Luft schnell wieder raus: Slimfit-Kanzler, Ankündigungskönig, Sommerlochopfer - alles Mögliche wurde über den ehemaligen Bahnmanager Christian Kern gesagt und geschrieben, der zwar gute Umfragewerte hat, aber nach seinem Amtsantritt erst einmal medial gegen das Getöse um die Wiederholung der Bundespräsidentenwahl ankämpfen musste.

Nun ist die Sommerpause vorbei, und Kern ist da. Kündigt selbstbewusst an, er wolle zehn Jahre im Amt bleiben, stellt ein dickes Arbeitsprogramm vor, will die alte Tante SPÖ reformieren, stiehlt dem zuletzt omnipräsenten Koalitionspartner ÖVP die Show, geht die FPÖ an, provoziert in Brüssel - und vermittelt den Eindruck, er fange jetzt endlich mal so richtig an. Das ist, drei Wochen vor der Hofburgwahl, ein Signal an die vielen Frust-Wähler, die einen starken Mann an der Spitze wollen und die scheintote große Koalition satthaben. Und es ist ein Signal an alle, die mit vorgezogenen Neuwahlen liebäugeln, um die FPÖ ans Ruder zu bringen. Vor allem aber ist es der Versuch zu überzeugen - eine Kunst, welche die Sozialdemokratie erst wieder lernen muss.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2016
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