Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Zschäpe will nicht analysiert werden

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Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger, München

Beate Zschäpe ist genervt. Man sieht es, man spürt es, auch aus der Entfernung. Sie fühlt sich vorgeführt im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts München, sie empfindet den Prozess als "Kriegsgebiet", so hat sie das einem Psychiater anvertraut, sie wähnt sich beobachtet von allen Seiten. Und von einem ganz besonders: Professor Henning Saß, dem vom Gericht bestellten psychiatrischen Gutachter, der am Ende des Prozesses feststellen soll, ob die Angeklagte im NSU-Verfahren schuldfähig ist. Oder ob sie eine Persönlichkeitsstörung hat, die sie in ihrer Schuldfähigkeit beeinträchtigt.

Der grauhaarige, emeritierte Professor aus Aachen beobachtet die wegen Mittäterschaft bei zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen angeklagte Zschäpe nun schon seit mehr als 200 Tagen - aus drei Metern Entfernung. Reden will sie mit ihm nicht, nun will sie auch nicht mehr, dass er sie ansieht. Und dabei mitkriegt, wie sie schaut, ob sie zusammenzuckt, ob ihr die Gesichtszüge entgleisen.

Zschäpes Verteidiger haben am Dienstag den Antrag gestellt, den Gutachter während der Sitzungspausen aus dem Saal zu verbannen und ihn auch erst gar nicht zur Verhandlung zu laden, wenn es um Taten geht, bei denen Zschäpe nachweislich nicht am Tatort war. Das sind - so viel man weiß - alle Morde des NSU. Das wäre eine Quasi-Ausladung des Psychiaters.

Wolfgang Heer und Anja Sturm, zwei der drei Anwälte Zschäpes, haben erklärt, Saß dringe mit seinen Beobachtungen in die geschützte Sphäre zwischen Mandantin und Verteidigern ein. Saß habe einmal länger in die Richtung von Zschäpe geblickt und sich Notizen auf einem Blatt gemacht, als die Angeklagte eine leise Unterredung mit ihrem Verteidiger Heer geführt habe. "Als Verteidiger Heer Blickkontakt zu ihm aufnahm, grinste der Gutachter demonstrativ. Das wird von mir anwaltlich versichert", erklärt Heer. Und seine Kollegin Sturm sagt: "Auch heute Morgen, um 9:49 Uhr, beobachtete Herr Saß das Kommunikationsverhalten unserer Mandantin und machte sich Notizen."

Ein Platzwechsel reicht den Anwälten nicht

Sofort bittet der Richter den Sachverständigen, einen Platz weiter weg von der Verteidigung zu rücken. Über zwei Stunden wird dann diskutiert, ob Saß nun etwas hört, was auf der Verteidigerbank gesprochen wird, oder nicht. Der Richter versichert, er könne nichts hören, obwohl er viel näher an Zschäpe sitze als der Sachverständige.

Der Platzwechsel aber reicht Zschäpes Anwälten nicht. Sie fordern eine Entscheidung des Gerichts. Die Bundesanwaltschaft erklärt, es stehe im Ermessen des Sachverständigen, was er beobachte. "Die Angeklagte hat keinen Anspruch darauf, unbeobachtet im Gerichtssaal zu agieren. Wenn in Pausen Bedarf an längerer Beratung besteht, ist es Sache der Verteidiger, sich mit ihrer Mandantin zurückzuziehen", sagt Oberstaatsanwältin Annette Greger.

Am Ende entscheidet das Gericht dann in diesem Sinne: Es sei nicht angemessen, den Sachverständigen in den Pausen aus dem Gerichtssaal zu bitten. "Sollten die Angeklagte Zschäpe und ihre Verteidiger kommunizieren wollen, mögen sie den Sitzungssaal verlassen." Und es sei auch zumutbar, dass die Verteidiger in gedämpftem Ton miteinander sprächen. Außerdem sei es dem Gutachter überlassen, was er in seine Beobachtung aufnimmt.

Die Diskussion hat den gesamten Vormittag dieses Verhandlungstages eingenommen, es ist der 206., und es war deutlich zu spüren, wie alle Nerven gereizt sind. Richter Manfred Götzl zeigte der Verteidigung zwischendurch die juristischen Folterwerkzeuge und sagte, man können auch den Münchner Psychiater Norbert Nedopil laden, dem sich Zschäpe recht offen anvertraut habe. Nedopils Gutachten war an die Öffentlichkeit gelangt und hatte erkennen lassen, dass das Verhältnis zwischen Zschäpe und ihren Verteidigern nicht spannungsfrei ist. Verteidiger Wolfgang Stahl warf Richter Götzl vor, er versuche, die Verteidigung vorzuführen. Der verbat sich die "Polemik". Zur Zeugenbefragung kam das Gericht dann erst am Nachmittag.

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