Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Anwalt rühmt Rudolf Heß

Vieles ist ungewöhnlich am Münchner Neonazi-Prozess, doch der Antrag eies Verteidigers am 323. Verhandlungstag war dann doch überraschend: Ein Sachverständiger soll die Rolle von Hitler-Stellvertreter Heß als Friedenskämpfer belegen.

Von Wiebke Ramm, München

Die Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben haben am Mittwoch im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München erneut offen rechtsextremistische Propaganda betrieben. Wieder einmal ging es um den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Heß wird unter Neonazis als Held und Märtyrer verehrt. Am 324. Verhandlungstag versuchte Wohllebens Verteidiger Wolfram Nahrath, von Heß das Bild eines Friedenskämpfers zu zeichnen. Nahrath beantragte, den Historiker Olaf Rose vor Gericht "als Sachverständigen" zu hören. Rose solle unter anderem beweisen, dass "Reichsminister Rudolf Heß am 10. Mai 1941 im Auftrag des Reichskanzlers des Deutschen Reiches, Adolf Hitler, in seiner Funktion als dessen Stellvertreter nach Großbritannien flog, um der britischen Regierung einen von Adolf Hitler stammenden Friedensplan (. . .) zu unterbreiten". Rose habe an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg promoviert, betonte Nahrath. Dass Rose Mitglied im Vorstand der NPD ist, erwähnte er nicht.

Am Montag saß Nahrath noch an der Seite von Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck, als das Amtsgericht Verden sie wegen Volksverhetzung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilte. Nahrath war letzter Vorsitzender der mittlerweile verbotenen Wiking-Jugend. Einige Verhandlungstage zuvor hatte seine Kollegin Nicole Schneiders bereits unter dem Deckmantel eines Beweisantrags eine in der rechten Szene beliebte Verschwörungstheorie zum Tod von Heß verbreitet. Schneiders, einst in der NPD aktiv, hatte beantragt, Heß' letzten Krankenpfleger als Zeugen zu laden. Dieser würde vor Gericht bekunden, dass Heß sich nicht selbst das Leben nahm, sondern ermordet wurde.

Als "unglaubliche Sauerei" bezeichnete Nebenklagevertreter Reinhard Schön am Mittwoch den Beweisantrag. Er entlarve die politische Gesinnung der Anwälte, sagte er.

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Quelle:
SZ vom 24.11.2016
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