Süddeutsche Zeitung

NPD: Jürgen Rieger:Das begehrte Erbe eines Multimillionärs

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Während Jürgen Rieger mit dem Tod ringt, sorgt sich die rechte Szene um seinen Nachlass - ohne seine Millionen hätte die NPD ein Problem.

Andrea Röpke

"Es ist richtig, dass Kamerad Jürgen Rieger an einem Schlaganfall gestorben ist". Der Hamburger Neonazi und langjährige Weggefährte Thorsten de Vries spricht im Internet offen aus, was in der braunen Szene seit Tagen für Unruhe sorgt, aber keine offizielle Bestätigung findet.

Auf der Homepage von Riegers rassistischer Sekte "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft" erscheint als Eingangslogo seit Wochenanfang eine Todesrune und der Spruch: "Besitz stirbt, Sippen sterben, du selbst stirbst wie sie; eins weiß ich, das ewig lebt: der Toten Tatenruhm."

Das klingt bereits wie ein Nachruf.

Nach Recherchen der neu-rechten Jungen Freiheit soll eine "Blutung im Hirn" dann in der Nacht zum Sonntag zum Hirntod des 63-Jährigen geführt haben.

Nur die NPD, deren stellvertretender Bundesvorsitzender der schwerreiche Rechtsanwalt aus dem noblen Hamburger Stadtteil Blankenese seit Mai 2008 ist, mauert. Ungewöhnlich für eine Partei, die sich sonst auf jeden Medienkontakt stürzt und auch vor Negativschlagzeilen nach dem Motto "Auch schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten" nicht zurückschreckt. Hauptsache, die Partei ist präsent.

Diesmal verhält es sich anders. Auch die obersten NPD-Strategen scheinen irgendwie hilflos. Erst fünf Tage nach Riegers Zusammenbruch bei einer Vorstandssitzung am Samstagnachmittag in der Parteizentrale in der Seelenbinderstraße in Berlin-Köpenick gibt es eine zögerliche Presseerklärung, die für manchen Kameraden zynisch klingen mag: "Unser Kamerad Jürgen Rieger kann in diesen schweren Stunden sicher sein, dass wir alle jetzt an der Seite seiner Familie stehen und mit ihr hoffen, Jürgen möge den schwersten Kampf seines Lebens erfolgreich bestehen."

Insiderinformationen zufolge soll Rieger bereits seit Tagen hirntot sein. Die NPD wirkt teils ahnungslos, nachdem die Familie eine Informationssperre erlassen hat. So scheinen sich gesicherte NPD-Informationen auf den Zeitraum bis zum Schlaganfall zu beschränken, obwohl Riegers Intimus und ständiger Begleiter, Vorstandsmitglied Thomas Wulff, ihn nicht nur in die Berliner Klinik fuhr, sondern auch später bei ihm in einer Spezialklinik in Neukölln geblieben sein soll.

Wulff, Szenename "Steiner", hatte auf Geheiß des Parteivorsitzenden für eine notärztliche Versorgung gesorgt, lässt die NPD wissen. Doch während Hamburger Neonazis bereits sinnbildliche Trauer flaggen, wünscht die Parteispitze in Berlin noch "gute Besserung".

Dieser verwirrende Umstand mag zwei Ursachen geschuldet sein. So ist es längst ein offenes Geheimnis, dass Rieger, der aus einer angesehenen Ärztefamilie in der Elbmetropole stammt und reich an der Elbchaussee heiratete, in der eigenen Familie mit seinem politischen Fanatismus wenig Zustimmung fand.

Seine älteren Kinder sollen bewusst soziale Berufe gewählt haben und auch der Bruder hielt Distanz zu Riegers Hitler-Verehrung und politischen Aktionismus. Riegers Ehefrau starb vor einiger Zeit, zwei seiner jüngeren Kinder stammen aus einer Beziehung zu einer Heilpraktikerin.

Hinter vorgehaltener Hand galt der Anwalt innerhalb der Szene als "Frauenheld" und auch schon mal als Erbschleicher. Von einem engen Draht der Hinterbliebenen zur Parteizentrale in Berlin ist daher kaum auszugehen.

Zudem mag der seit mehr als 30 Jahren aktive Multifunktionär einer der mächtigsten Neonazis bundesweit gewesen sein - mit offenen Armen war er in der NPD-Spitze jedoch nicht aufgenommen worden. Riegers "obsessiver Rassismus" und sein Faible für das Dritte Reich kamen nicht überall gut an. Gemäßigte Nationaldemokraten verschreckte dessen Radikalität.

Medien zitieren interne Kritiker, die sich beklagten, sie würden ihre "kostbare Zeit" nicht mit "skurrilen Gestalten wie Samenbank-Rieger" verschwenden wollen.

In der Tat stieß Riegers Engagement in Vereinen wie der "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung" oder in der "Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Ltd." nicht überall auf Verständnis.

Auch wahrte Rieger selbst über Jahre hinweg Distanz zur Partei. Erst mit der Öffnung für die militanteren "Freien Kameradschaften" 2004 gewann sie auch für ihn an Überzeugung. Zwei Jahre später trat er dem Hamburger Landesverband der NPD an führender Stelle bei. Er sei wegen der "sozialen" Programmatik Mitglied geworden, zitiert ihn das Parteiorgan Deutsche Stimme gern. Beobachter der Szene sprechen eher von Riegers gewachsenen Machtanspruch.

So wollte der millionenschwere Immobilienbesitzer - der als Angeklagter vor Gericht schon mal jammerte, er lebe zur Zeit "von der Substanz", da er sich wegen "aufwendiger Investitionen mit Bankkrediten erheblich im Minus" befände - nicht nur als Darlehensgeber und Retter in der Not wie bei diversen Wahlkämpfen zur Verfügung stehen, sondern Parteipolitik maßgeblich mitgestalten.

Finanzspritze für die Führung

Seine Kandidatur zum stellvertretenden Parteivorsitz führte zu internen Grabenkämpfen, doch der Sponsor und einflussreiche Anwalt Rieger setzte sich durch, auch dank enger Weggefährten wie Wulff.

Gerade in Zeiten finanzieller Not und im Superwahljahr konnte und wollte die NPD-Führung nicht auf Finanzspritzen und Darlehen des Hamburgers verzichten. Auf seiner Homepage rechnet Rieger vor, dass er für die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2006 eine Rückzahlung von Finanzhilfen von 295.000 Euro nicht einforderte, einen Kredit von 150.000 Euro verlängerte und zusätzlich 75.000 Euro zuschoss. Rieger betont diese Großzügigkeit wohl auch, weil er damit seinem Erzrivalen, dem NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag Udo Pastörs die Abhängigkeit vorführen kann.

Noch vor seinem Einstieg in die Parteipolitik hatte Rieger dem Hamburger Landesverband vor der Wahl 2004 ein Darlehen von 120.000 Euro gewährt. In Niedersachsen will er drei Jahre später mit 50.000 Euro ausgeholfen haben. Auch im Bundestagswahlkampf 2009 wird die Partei nicht auf ihren Geldgeber aus der Hansestadt verzichtet haben können.

Polizeibekannter Advokat

Auch ist Riegers Einfluss in juristische und akademische Kreise nicht zu unterschätzen. Nicht nur tummeln sich in seinen dubiosen, pseudowissenschaftlichen Vereinen zahlreiche Doktoren und auch Professoren - zehn Jahre lang leitete der braune Advokat den 1898 gegründeten "Blankeneser Grundeigentümer-Verein" mit rund 900 Mitgliedern mit.

Juristen, Rechtsanwälte, Hausbesitzer, die zur ehrenwerten Elbufer-Gesellschaft zählen, sahen lange kein Problem darin, ihre Vereinsgeschäfte von einem fanatischen Rassisten und Militärfreak führen zu lassen. Rieger wurde demnach mit "überwältigender Mehrheit zum stellvertretenden Vorsitzenden" gewählt.

Erst nach Medienberichten nahm der Verein widerwillig Abstand, vorher hatte es vonseiten des damaligen Vorsitzenden noch geheißen: "Herr Rieger ist eben ein hervorragender und von allen Gerichten und Richtern anerkannter Anwalt. Das muss man einfach mal sagen".

Zu diesem Zeitpunkt war der 1946 in Blexen bei Oldenburg geborene Advokat bereits polizeibekannt. Er zählte zum Initiatorenkreis des "Deutschen Rechtsbüros", einem Zusammenschluss nationaler Advokaten, die auch vor der Verteidigung brauner Gewalttäter nicht zurückschrecken und kostenlose Beratungen für Veranstaltungen oder die NPD-Schulhof-CD geben.

Für bundesweite negative Furore sorgte Rieger allerdings mit seiner Obsession für Immobilien. Rund ein gutes Dutzend großer Häuserkäufe sind bekannt. So besitzt er nicht nur Bauernhäuser und ein Fachwerkhaus in Schleswig-Holstein, sondern auch ein schlossähnliches Anwesen in Schweden, ein ehemaliges Bundeswehrgelände, mehrere Häuser und einen Kinokomplex in Niedersachsen, ein ehemaliges Hotel in Thüringen und ein Mehrfamilienhaus in Hamburg-Harburg.

Zudem vermachten ihm Altnazis wie Gertrud Herr aus Blankenese oder der Bremer Lehrer Wilhelm Tietjen Millionen. Vor einigen Jahren schenkte ihm eine Unternehmerin eines ihrer Häuser in Rodenberg bei Hannover. Riegers Besitz schürte nicht selten Neid in der Szene.

Sorge um die Nachlassregelung

Kaum ein Rechtsextremist sorgte in den letzten Jahren für so viele Schlagzeilen wie Rieger. "Strippenzieher auf Einkaufstour" titelte die Frankfurter Rundschau im Hinblick auf die vielen Orte, in denen er mit einem mehr oder weniger ehrlichem Kaufinteresse vorstellig wurde. Die Financial Times Deutschland schrieb: "Tatort Bruchbude. Wenn Rechtsradikale sich für Immobilien interessieren, geraten Kommunen unter Druck."

In anderen Medien war die Rede vom "braunen Pokerspieler", der mit Hausbesitzern "Hand in Hand" arbeite. Ob in Delmenhorst, Melle, Faßberg oder Warmensteinach - Riegers Name reichte aus, um für Aufruhr zu sorgen. Oft war dabei von einem Deal die Rede. Nachweisen konnte ihm niemand etwas. Jetzt wo er bereits tot ist oder im Sterben liegt - sorgt sich die Szene um seinen Nachlass.

Wenn der umtriebige Neonazi keine testamentarischen Vorkehrungen getroffen hat, dann könnte auch die NPD die finanziellen Folgen zu spüren bekommen. Auch Weggefährte Thorsten de Vries fragt bereits kurz nach dem Schlaganfall in einem Neonazi-Forum, es müsse abgewartet werden, welche persönlichen "Anweisungen" der Kamerad "für den Fall seines Ablebens" getroffen habe.

Ein übervoller Terminkalender

Leise klingen Zweifel durch, ob der Choleriker und hyperaktive Neonazi überhaupt daran gedacht haben mag. "Wer Jürgen kennt, der weiß auch, dass er sich für sein Volk und im politischen Kampf nie selber geschont hat", so de Vries. Der NPD-Chef habe ein Tempo vorgelegt, bei dem "ein 20-jähriger Bursche Schwierigkeiten hätte", mit ihm Schritt zu halten.

So sei er erst am letzten Samstag aus Schweden zurückgekehrt, dann der Vorstandstermin in Berlin und für den 2. November stand bereits die Verteidigung eines der Bandmitglieder von Kommando Freisler wegen Volksverhetzung vor dem Amtsgericht in Herzberg im Harz an. Rieger hatte zweifellos einen übervollen Terminkalender.

"Auch wenn die Frage in dieser schweren Stunde pietätlos erscheinen mag: die nationale Bewegung MUSS ein Interesse daran haben, das Vermögen unseres Vorkämpfers in der Bewegung zu halten" warnt ein Daniel F. im Neonazi-Forum "Altermedia".

F. stellte gestern die Frage: "Wie verhält es sich hier erbrechtlich mit dem Nachlass? Bei uns vor Ort stellt sich bspw. die Frage, ob es gegen geltendes Recht verstößt, wenn wir die uns damals überlassenen Sachen weiterhin dauerhaft nutzen?"

Fragen, die auch die NPD-Spitzen als Darlehensnehmer umtreiben werden. Immerhin besteht die vage Hoffnung, dass durch ein besonnenes Verhalten der Familie Riegers dessen menschenverachtenden Planungen wie die Schaffung eines "Kraft durch Freude"-Museums in Wolfsburg oder ein nationales Schulungszentrum in Faßberg nicht mehr in die Tat umgesetzt werden können.

Die Szene, nie verlegen um Grabenkämpfe und interne Auseinandersetzungen, ist durch Riegers Ausfall in Aufruhr geraten. Fragen und Vorwürfe machen die Runde. Unmut herrscht beispielsweise darüber, warum die NPD keinen Notarztwagen anforderte.

Der Umstand, dass Wulff seinen erkrankten Freund persönlich im eigenen Pkw zur Notaufnahme kutschierte, stößt bei vielen Kameraden auf Unverständnis. "In so einer Situation zählt tatsächlich jede Sekunde", schreibt einer im Internet und mahnt: "Ein Notfallarzt hat wichtige Medikamente dabei." Wie so häufig bei Todesfällen in der eigenen Szene wird dann spekuliert.

Ebenso war es jüngst nach dem Tod von Uwe Leichsenring, Friedhelm Busse, Jörg Haider oder dem nationalistischen Liedermacher Michael Müller. Der User "Heiner" scheint aufzuführen, was viele denken: "Schließlich stehen mittlerweile ziemlich viele Anzeichen im Raum, die darauf hindeuten, dass Rieger Opfer einer Veschwörung wurde!!!"

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