Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:Rivalen im Talentschuppen

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Die Kandidaten für den CDU-Vorsitz sind Abbild eines sehr heterogenen Landesverbands.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

In Zahlen erscheint Nordrhein-Westfalens CDU wie ein Riese: 115 000 Mitglieder, mehr als ein Viertel aller deutschen Christdemokraten, leben zwischen Rhein, Ruhr und Weser. Weshalb der größte Landesverband auf Bundesparteitagen auch 29,6 Prozent aller Delegierten stellt. Allein diese Übermacht vom Rhein könnte - rein theoretisch - erklären, warum alle vier Männer, die nun mutmaßlich die beiden Frauen im CDU-Vorsitz und im Kanzleramt beerben wollen, aus NRW kommen. "Nur, in der Wirklichkeit ist das nichts wert", bedauert ein hochrangiger CDU-Politiker in Düsseldorf, "denn da sind wir uns selten einig - und deshalb nur ein Schein-Riese."

Was im Umkehrschluss auch bedeutet: Es wäre falsch, den Berliner Konkurrenzkampf zwischen den beiden Rheinländern Armin Laschet und Norbert Röttgen mit dem Sauerländer Friedrich Merz sowie dem Münsterländer Jens Spahn als Düsseldorfer Chaos zu deuten. Oder dies Landesparteichef Laschet als Führungsschwäche anzukreiden: "Die Partei ist wie das Land", sagt Guido Hitze, der als anerkannter Historiker (und CDU-Mitglied) die Düsseldorfer Zustände seit Jahrzehnten analysiert. "NRW ist heterogen. Da kann keine Partei, die das Bundesland abbildet, je wirklich homogen sein."

Die Beziehung zwischen Röttgen und Laschet dürfte nun ein neues Drama erleben

So war's, so bleibt's. Bis 1986 gab es nicht mal einen geeinten Landesverband. Der damalige CDU-Chef Helmut Kohl hatte lange Angst, eine große, gar einige NRW-CDU könnte zur Machtbasis seines Widersachers Kurt Biedenkopf werden. Diese Zerrissenheit ist überwunden. Aber bis heute ist der Landesverband eine Art "Talentschuppen" mit acht Räumen, acht Studios: Acht CDU-Bezirke pflegen ihre Eigenheiten, halten treu zu den ihren. So wie jetzt. Das Münsterland - die moderne, gleichwohl bodenständige Erfolgsregion- bevorzugt Jens Spahn. Derweil repräsentiert der Aspirant Merz authentisch sein Sauerland, das als konservativer Kern der NRW-CDU gilt. Laschet und Röttgen wiederum wurden in der sozialkatholischen, weltoffenen, strikt proeuropäischen CDU in Aachen und im Bezirk Mittelrhein sozialisiert.

Die Beziehung zwischen Röttgen und Laschet dürfte nun ein neues Drama erleben. In vier Jahrzehnten zogen sie Strippen, erst in der Jungen Union, dann in der CDU. Und lange zogen sie gemeinsam am selben Strang, sogar in dieselbe Richtung. Zusammen gehörten sie in den 90er Jahren in Bonn zur legendären "Pizza-Connection", in der sich Schwarze und Grüne trafen. Und zusammen saßen sie im "Leichlinger Kreis", einem vom heutigen NRW-Innenminister Herbert Reul gegründeten Zirkel, der unter der geistigen Führung des 2016 verstorbenen Merkel-Vertrauten Peter Hintze eine modernere, auch ökologisch denkende CDU ersann.

Die Freundschaft zerbrach vor knapp zehn Jahren. Nach der Niederlage des CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers bei der Landtagswahl 2010 wollte Laschet die Führung des daniederliegenden Landesverbandes übernehmen. Nur, Röttgen trat ebenfalls an und gewann als der strahlendere, rhetorisch brillantere Bewerber eine Mitgliederabstimmung. Erst Röttgens krasse Niederlage (26,3 Prozent, ein historischer Tiefpunkt der NRW-CDU) ließ eine Partei in Scherben zurück.

Das wirkt nach. Parteifreunde in Düsseldorf verübeln Röttgen bis heute, dass er als damaliger Bundesminister die NRW-CDU "nur als Machtbasis für seine Ambitionen in Berlin" habe nutzen wollen. Tatsächlich hatte Röttgen sich damals dem Versprechen verweigert, auch für den Fall einer Niederlage in Düsseldorf Politik betreiben zu wollen. Das sieht Röttgen inzwischen selbst als Fehler. Aber die Häme, mit der in dieser Woche auf den Gängen des Landtags über "den Egomanen" und "Arroganzling" gelästert wurde, lässt erwarten, dass Röttgen bei seinem neuerlichen Anlauf nach oben nicht auf allzu viele Freunde im Landesverband bauen kann.

Vertraute des NRW-Ministerpräsidenten wiederum basteln aus Röttgens Team-Schwäche nun das Gegenprofil für Laschet. Der habe mit seiner Integrationskraft den Landesverband zu einigen verstanden. Das bestätigen auch ehemalige Konkurrenten wie etwa Sozial- und Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, dem Laschet einst im Kampf um das Amt des CDU-Fraktionschefs im Landtag unterlegen war. Frühere Verbündete wie Umweltministerin Ursula Heinen-Esser wenden sich öffentlich gegen Röttgens Alleingang und plädieren für eine "gute Aufstellung im Team als bessere Lösung".

Sogar einige Merz-Fans in Düsseldorf räumen ein, Laschet habe Zulauf aus ihren Reihen. Ein Grund sei, dass Historisches geschehen ist: Die Krise der Bundes-CDU hat die nationalen Umfragewerte in den Keller getrieben, während die NRW-CDU bei 32 Prozentpunkten liegt. Im Land besser als im Bund, das schafft ein neues Wir-Gefühl.

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SZ vom 22.02.2020
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