Süddeutsche Zeitung

No-Spy-Abkommen:Geschichte eines Täuschungsmanövers

Lesezeit: 3 min

Von John Goetz, Georg Mascolo und Bastian Obermayer, Berlin/München

Am Ende ist es nur ein weiterer Schritt, den Angela Merkel und ihre Regierung im Sommer 2013 gehen. Ein Schritt aber, mit dem wohl die unsichtbare Grenze zwischen Wahlkampfrhetorik und Täuschung der Öffentlichkeit überschritten wird. Nach außen tut diesen Schritt als erster der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla am 12. August 2013, als er vor der Hauptstadtpresse behauptet, die US-Seite habe "den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten".

Bei Pofalla bleibt es nicht. Es folgen, noch vor der Bundestagswahl, Regierungssprecher Steffen Seibert, der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich und die Bundeskanzlerin selbst. Die Formulierungen variieren, die Botschaft bleibt dieselbe: Es wird ein No-Spy-Abkommen geben. Kanzlerin Merkel formuliert es ein wenig vorsichtiger, sie sagt die Amerikaner seien bereit, "mit uns ein sogenanntes No-Spy-Abkommen zu verhandeln".

Es brauchte ein Gegengift zu den Snowden-Enthüllungen

Neue Dokumente, die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR einsehen konnten, zeigen: Zu diesem Zeitpunkt wusste die gesamte Spitze der Bundesregierung, dass die US-Regierung eine solche Zusage nicht gegeben hatte. Damit erreicht die Affäre ein neues Niveau. Es scheint klar zu sein, dass die Regierung absichtlich getäuscht hat - mithin also das Gegenteil dessen getan hat, was Regierungssprecher Seibert vorvergangene Woche behauptet hatte: Man habe "nach bestem Wissen und Gewissen" informiert.

Eher schon wider besseres Wissen.

Aber der Reihe nach. Im Sommer 2013 prägt die Diskussion über Edward Snowdens Enthüllungen die politische Agenda. Die CDU-geführte Regierung braucht ein Gegengift, und es ist schon im Juli klar, wann dieses Gegengift eingesetzt werden soll: Am 12. August nämlich. An diesem Tag soll Kanzleramtsminister Pofalla vor das Parlamentarische Kontrollgremium und anschließend vor die Presse treten.

Was er an diesem Tag präsentieren möchte, ist einer vertraulichen E-Mail des Kanzleramts an die US-Regierung vom 31. Juli zu entnehmen. Darin heißt es, Anfang August werde eine hochrangige Delegation deutscher Geheimdienstvertreter nach Washington fliegen, um die Spitzen der US-Geheimdienste zu treffen. "Das Ziel der Gruppe wird es sein, eine schriftliche Bestätigung der US-Seite zu bekommen, dass US-Geheimdienste deutsches Recht in der Vergangenheit nicht gebrochen haben und in der Zukunft nicht brechen werden." Diese schriftliche Bestätigung wolle "Minister Pofalla am 12. August präsentieren", und zwar ausdrücklich auch der Presse.

Diese schriftliche Bestätigung bekamen die Deutschen aber nicht. Womit die deutsche Reisegruppe zurückkam, ist einem Papier vom 7. August 2013 zu entnehmen, aus dem SZ, NDR und WDR nun erstmals zitieren. Es ist das Schlüsseldokument dieser Affäre, und als Empfängerin ist eingetragen: Frau Bundeskanzlerin. Darunter der Vermerk: "Lag der Bundeskanzlerin vor".

In diesem Dokument wird zunächst erklärt, die Vertreter der US-Geheimdienste hätten die grundsätzliche Bereitschaft signalisiert, ein No-Spy-Abkommen zu verhandeln. Jedoch: "Über das 'Ob' müsse allerdings die Politik entscheiden."

Bislang war aber nicht klar, ob "die Politik" tatsächlich versucht hat, eine solche Entscheidung herbeizuführen - oder ob sich Merkel und Pofalla lediglich auf die vorsichtige Einwilligung der US-Geheimdienstler verlassen hatten.

Einen Anruf bei Obama gab es offenbar nie

Aus dem Dokument vom 7. August geht hervor: Die Regierung hat angefragt, aber ohne Erfolg. Auf der dritten Seite des Dokuments ist handschriftlich festgehalten, dass der damalige Außenminister Guido Westerwelle an jenem Tag mit seinem US-Kollegen John Kerry "in der Sache" telefoniert habe. Kerry habe sich dabei grundsätzlich "bereitwillig" gezeigt, jedoch "ohne Konkretes zuzusagen". Weiter heißt es wörtlich: "Prüfung in den USA läuft."

Sollte es bis zum nächsten Tag keine Zusage aus den USA geben, so ist weiter zu lesen, solle Angela Merkel US-Präsident Barack Obama anrufen.

Bislang war die schonendste Interpretation der No-Spy-Affäre jene, dass Merkels Regierung zu optimistisch gewesen sei, nachdem die US-Geheimdienstspitze sich grundsätzlich offen gezeigt hatte. Nun ist klar: Die Regierung wusste, dass die notwendige politische Zusage auf einem gänzlich anderen Papier stand - und dass diese Zusage entscheidend war. Deswegen das große Programm: Erst Vizekanzler Westerwelle bei Kerry, dann womöglich auch noch Kanzlerin Merkel bei Obama. Dieser Anruf fand offenbar nie statt. Warum ist nicht bekannt.

Und noch etwas fand nicht statt: Die deutsche Geheimdienst-Delegation hatte in Washington gebeten, dass Präsident Obama bei der anstehenden Pressekonferenz vom 9. August das No-Spy-Abkommen erwähnen möchte. Das wäre "außerordentlich hilfreich" heißt es im Vermerk an die Kanzlerin. Obama tat es nicht. Später wird er sagen, es habe nie eine Zusage gegeben. Alle bisher vorliegenden Dokumente sprechen dafür, dass der US-Präsident recht hat.

Die Bundesregierung erklärte auf Anfrage, man "gebe zu vertraulichen Gesprächen von Mitgliedern der Bundesregierung keine Auskunft".

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SZ vom 27.05.2015
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