Süddeutsche Zeitung

Nahost:Trippelschritte für etwas Vertrauen

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Beim Treffen des Verteidigungsbündnisses geht es auch um die Lage im syrischen Kriegsgebiet.

Von Paul-Anton Krüger, München

Was in der Nato lange als undenkbar galt, wäre in Syrien fast geschehen: dass zwei Partner der Allianz in eine militärische Auseinandersetzung geraten. Bis zum Rückzugsbefehl von US-Präsident Donald Trump, der mit niemandem im Bündnis abgesprochen war, drohte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ungeachtet der Präsenz amerikanischer Truppen in Nordsyrien einzumarschieren. Trump machte ihm letztlich den Weg frei. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer reagierte darauf mit ihrem - ebenfalls nicht abgesprochenen - Vorschlag für eine internationale Schutzzone in Syrien.

Vor Beginn des Nato-Gipfels in London wird sich Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Dienstag zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premier Boris Johnson mit Erdoğan treffen, um über Syrien zu sprechen. Es soll dabei um die syrischen Flüchtlinge gehen, aber auch um die kurdischen YPG-Milizen, die an der Seite der USA und anderer Nato-Staaten gegen die Terrormiliz Islamischer Staat gekämpft haben, in Ankara aber als Terror-Gruppe gelten.

Die Waffenruhe im Norden Syriens ist weiter brüchig. Auch in Idlib, der letzten von Rebellen gehaltenen Provinz, verstärken Russland und das Regime von Präsident Baschar al-Assad gerade wieder ihre Angriffe. Bei schweren Gefechten sollen von Samstag bis Montag mehr als 100 Menschen getötet worden sein, unter ihnen zehn Zivilisten. Dennoch setzt der seit Oktober 2018 amtierende UN-Sondergesandte Geir Pedersen seine Vermittlungsbemühungen fort.

Die Frage sei, wie man vorankommen könne, um "eine bessere Zukunft für alle Syrer aufzubauen", sagt Pedersen. "Wie können wir das Land wieder aufbauen und Aussöhnung vorantreiben?" Stabilität, so ist er überzeugt, werde von einem politischen Prozess abhängen. Eine landesweite Waffenruhe als Voraussetzung für Verhandlungen sehen Diplomaten inzwischen als nicht mehr realistisch an. Pedersen hofft stattdessen, dass ein politischer Prozess sich positiv auf die Lage im Land auswirken kann.

In Genf ist im November nach monatelangen Verzögerungen erstmals das von Russland initiierte Verfassungskomitee zusammengetreten. Es besteht zu je einem Drittel aus Vertretern, die das Regime und die Opposition benannt haben, während die UN das mittlere Drittel mit Vertretern der Zivilgesellschaft nominierten. Pedersen würdigte das Treffen als "bedeutenden Schritt", weil sich zum ersten Mal Vertreter der beiden Seiten gegenübersaßen und einander zuhörten in "offenen und teils schmerzhaften Diskussionen". Dies sei der einzige Weg, um Vertrauen aufzubauen, das nötig sei für Fortschritte und greifbare Ergebnisse. Jedoch konnten sich die Seiten nicht auf eine Tagesordnung für die weiteren Gespräche verständigen.

Er versuche weiter, einen Konsens zu erreichen, sagte Pedersen am Freitag. Als einen "ersten positiven Schritt" in Richtung einer politischen Lösung hat er die Freilassung einer "erheblichen Zahl von Inhaftierten" beider Seiten ins Auge gefasst, beginnend mit Kindern, Frauen und Älteren.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2019
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