Süddeutsche Zeitung

Nach SPD-Führungswechsel:Der Lockruf der Linken

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Nach dem Führungswechsel in der SPD öffnet Linke-Chef Lafontaine die Arme für SPD-Überläufer: "Ein wirklich Linker kann nur noch zu uns kommen."

Daniel Brössler

Die Asylanträge liegen bereit. Jedenfalls in Herford. "Alle SPD-Mitglieder, die in dem Doppelpack Steinmeier/Müntefering nichts Positives sehen, können ab sofort vom Angebot einer Gastmitgliedschaft in der Linken Gebrauch machen", ließ Inge Höger, Linken-Sprecherin im nordrhein-westfälischen Kreis Herford, wissen.

Solch Aufrechten wolle die Linke "Asyl gewähren". Parteichef Oskar Lafontaine findet Worte wie Asyl oder Überläufer zwar "nicht angebracht". Für Wechselwillige aus der SPD öffnet er die Arme nun aber noch weiter als bisher. "Wenn Steinmeier und Müntefering beim Agenda-Kurs bleiben, kann ein wirklicher Linker nur noch zu uns kommen", sagte der einstige SPD-Chef der Süddeutschen Zeitung.

Lafontaine und die SPD stehen in einer schwierigen Wechselbeziehung seit jenem März 1999, als sich der damalige Parteichef und Finanzminister von Kanzler Gerhard Schröder an die Wand gedrückt fühlte und hinschmiss. Seitdem gilt die Faustregel, dass es Lafontaine gutgeht, wenn es der SPD schlechtgeht - und umgekehrt. "Das wird mir immer unterstellt", klagt Lafontaine, er aber denke in "politischen Kategorien".

"Blanken Zynismus"

Nur eine handlungsfähige SPD könne dazu beitragen, dass wieder eine Politik der sozialen Gerechtigkeit gemacht werde. Und so verkneift sich Lafontaine, was nach Häme angesichts des Schicksals seines Nachnachnachnachfolgers Kurt Beck klingen könnte. "Ihm ist übel mitgespielt worden", sagt er nur, "er sieht sich getäuscht und hat daraus die Konsequenzen gezogen."

Zum künftigen SPD-Chef Franz Müntefering fällt Lafontaine noch weniger ein. "Ein schwieriger Job" sei das. Das könne er aus eigener Erfahrung bestätigen. "Aber leid tun mir die Hartz-IV-Empfänger, die Rentner und die Arbeitnehmer, denn die SPD ist nicht bereit, ihre Agenda-Politik zu ändern, die dazu geführt hat, dass 25 Prozent der Deutschen im Niedriglohnsektor arbeiten und eine Rentenerwartung von 400 Euro haben."

Das ist sie, die Rhetorik, mit der Lafontaine schon die Beck-SPD vor sich hergetrieben hat. Nun da "die Parteirechte sich durchgesetzt und die Parteilinke eine erneute Niederlage erlitten hat", sieht Lafontaine erst recht keinen Grund, den Ton zu mäßigen. Wenn die SPD Erfolge der Agenda 2010 bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geltend macht, so nennt er das "blanken Zynismus".

Die Zunahme von Leiharbeit und der wachsende Niedriglohnsektor seien "kein Erfolg, sondern eine Blamage". Die SPD habe daher "so wenig Resonanz bei den Wählerinnen und Wählern, dass jeder Vorstand bei einer solchen Abwendung der Kunden längst entlassen" wäre. Und er ätzt: "Wenn die SPD ihren Kurs fortsetzt, der dahin geführt hat, dass sie je nach Umfrageinstitut bei 20 bis 25 Prozent rangiert, dann ist das bedauerlich."

Auf dem Pfad linker Tugenden

Nach der reinen Lehre des Oskar Lafontaine kann die SPD nur unter dem Einfluss seiner Partei wieder auf den Pfad linker Tugend zurückkehren. "Wir müssen aber selbst glaubwürdig bleiben", postuliert er, der erste Test sei die angestrebte Duldung einer rot-grünen Landesregierung in Hessen. "Die Linke kann nicht akzeptieren, dass die rot-grüne Regierung mit Andrea Ypsilanti einen Freibrief für den Bundesrat bekommt", warnt der Partei- und Fraktionschef.

Und fügt hinzu: "Eine neue hessische Landesregierung, die von der Linken getragen wird, kann im Bundesrat keinen sozialen Kürzungen zustimmen." Es ist dies die Lunte, die Interims-SPD-Chef Frank-Walter Steinmeier schon länger riecht. Er fürchtet den Einfluss Lafontaines und würde, wenn er könnte, die Wiesbadener Koalitionspläne vereiteln.

In der Linkspartei ist man indes überzeugt, dass die neue Berliner Konstellation keinen Einfluss auf die Gespräche in Hessen haben wird. "Die SPD hat keine andere Wahl als den Versuch, (den geschäftsführenden Ministerpräsidenten) Roland Koch abzulösen", urteilt Lafontaine. In der Tat ist die hessische SPD-Chefin Ypsilanti nur eine von zweien, die sich während des Dramas am Schwielowsee enthalten hatten, als es um Unterstützung für Müntefering ging. Den Tagungsort verließ sie schweigend.

Lafontaine kann also gelassen davon ausgehen, dass Ypsilanti Kurs hält. "Wenn eine hessische Landesregierung sich an dem orientiert, was SPD, Linke und Grüne vor der Landtagswahl in ihren Programmen aufgeschrieben haben, wird sie bald besser dastehen als die große Koalition", behauptet Lafontaine. Was er unerwähnt lässt, ist der Druck, den er sich davon auf die neue SPD-Parteiführung verspricht.

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SZ vom 09.09.2008/pir/ssc
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