Süddeutsche Zeitung

Mysteriöser Angriff auf Militärbasis:Geheimer Krieg gegen Iran

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Bei einer Explosion starb im November der Chef des iranischen Raketenprogramms. Es gibt Indizien dafür, dass dies kein Unfall, sondern ein gezielter Angriff war. Experten vermuten, dass der israelische Geheimdienst Mossad dahinterstecken könnte.

Paul-Anton Krüger

General Hassan Teherani Moghaddam war ein bedeutender Mann in Iran. Im Westen war sein Name wohl nur einigen Geheimdienstlern geläufig, aber zu seinem Staatsbegräbnis am 14. November in der Hauptstadt Teheran versammelte sich die Elite der Islamischen Republik: Der einflussreiche Parlamentssprecher Ali Laridschani erwies dem General die letzte Ehre, der Chef des Nationalen Sicherheitsrates, Said Dschalili, ebenso hochrangige Offiziere. Selbst der Oberste Führer, Ayatollah Ali Chamenei, trauerte am Sarg, der drapiert war mit der grün-weiß-roten Flagge, einem Porträt Moghaddams und weißen Gladiolen. Es war ein Heldenbegräbnis.

Der General war bei den Garden verantwortlich für das Raketenprogramm, mithin einer der wichtigsten Männer der Elitetruppe. Seit dem Jahr 1983 habe er es geleitet, berichtete die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars. Es soll sein Verdienst sein, dass Iran in den vergangenen Jahren ballistische Raketen mit Feststofftriebwerken entwickelt hat - allen voran die Sejil mit einer geschätzten Reichweite von etwa 2000 Kilometern, die bereits mehrmals getestet wurde.

Westliche Geheimdienste halten diese Entwicklungslinie für militärisch weit bedrohlicher als die auf alter Sowjettechnologie basierenden, flüssigkeitsgetriebenen Shahab-Raketen: Feststoffraketen sind schneller einsatzbereit, weil sie nicht betankt werden müssen. Sie lassen sich leichter transportieren, und Iran kann sie im Wesentlichen ohne Hilfe von außen fertigen. Iran hat damit zumindest die Aussicht auf eine strategische Waffe, die dereinst auch Atomsprengköpfe bis weit nach Europa hinein tragen könnte.

General Moghaddam, die Personifizierung dieses Programms, starb am 12. November, als eine oder mehrere schwere Explosionen einen Militärstützpunkt nahe der Ortschaft Bidganeh erschütterten, etwa 40 Kilometer südwestlich von Teheran. Schnell spekulierten Zeitungen in Israel, der legendäre Mossad habe die Hand im Spiel gehabt. Seine Agenten wie auch die US-Geheimdienste stehen ohnehin in Verdacht, seit Jahren einen geheimen Krieg gegen Iran zu führen - mit Anschlägen auf Wissenschaftler, die an Irans Atomprogramm mitgearbeitet haben sollen. Oder mit Computerviren à la Stuxnet, der die Urananreicherungsanlage in Natans beschädigte.

Die Version vom Unfall

Doch ebenso schnell bemühten sich iranische Offizielle Erklärungen zu präsentieren, die genau das in Abrede stellen. Bei den Garden war erst von "einem Unfall beim Transport konventioneller Munition" die Rede. Dann zitierte eine regimenahe Zeitung Moghaddams Bruder Mohammad, selbst General der Revolutionsgarden: Hassan habe sein Leben verloren, als er "letzte Tests an einer neuen Rakete vornahm". Irans Generalstabschef Hassan Firouzabadi schließlich sagte der Nachrichtenagentur Isna, die Explosion habe "nichts mit Israel oder den USA zu tun, außer dass das Ergebnis der Forschungen in der Anlage Israel einen harten Schlag ins Gesicht versetzen" werde.

Westliche Geheimdienstler haben dem bisher nicht widersprochen, sie bekräftigten eher den Eindruck, dass es zu einem Unfall kam, etwa als die Iraner versuchten, Raketenstufen zusammenzufügen. Unabhängige Experten in Europa und den USA aber hegen große Zweifel. Zu heftig erscheint ihnen die Explosion. Zu viele Fragen werfen Satellitenbilder auf, die inzwischen zugänglich sind.

Ein Unfall steht nicht vollständig in Einklang mit den Schäden, die wir auf dem Gelände sehen", sagte der Raketenexperte Michael Elleman der Süddeutschen Zeitung. Er hat in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des US-Rüstungskonzerns Lockheed Martin mehr als 20 Jahre Erfahrung mit Feststofftriebwerken für Raketen gesammelt, in den neunziger Jahren als UN-Waffeninspektor gearbeitet und einen mehr als 140 Seiten starken Bericht des angesehenen International Institute for Strategic Studies in London über Irans Raketenprogramm mitverfasst. "Zu viele Dinge passen einfach nicht zusammen", findet er.

Das sieht sein Münchner Kollege Robert Schmucker ähnlich: "Feststofftriebwerke detonieren eigentlich nicht", erklärt der Professor, der Entwicklungs- und Fertigungsprogramme in der Flugkörperindustrie geleitet hat. Schmucker verweist auf frühere Unfälle, etwa im Januar 1985 auf dem US-Stützpunkt Waldheide nahe Heilbronn. Damals zerriss es zwar das Triebwerk einer Pershing II, und drei US-Soldaten starben. Aber es gab keine Druckwelle, wie sie die Detonation einer Handgranate oder einer Bombe auslöst. Auch bei anderen Zwischenfällen sei das so gewesen, bestätigt ein weiterer europäischer Experte, der Unglücke mit Raketenmotoren untersucht hat. In Bidganeh aber sind selbst Wellblechdächer beschädigt, die gut 150 Meter von den Gebäuden entfernt sind, die von der Explosion oder den Explosionen offenbar eingeebnet wurden. Gab es dort also eine Detonation, eine Druckwelle?

Eine detaillierte Auswertung der Satellitenbilder fördert weitere Merkwürdigkeiten zutage: Aufnahmen vom 22. November zeigten, dass sieben Gebäude zerstört sind, die augenscheinlich spezielle Funktionen hatten, wie eine Bildanalystin des auf Militärthemen spezialisierten Fachmagazins Jane's Defence Weekly der SZ sagte. Ebenso seien zwei angrenzende Gebäude zumindest schwer beschädigt, die Unterstützungsfunktionen erfüllten, etwa als Lager oder für die Verwaltung. Jedoch grenzten die zerstörten Hallen "direkt an die Überreste weiterer Gebäude an, die strukturell noch intakt sind". Auch seien ein Sportplatz und Bäume in dessen Umgebung weitgehend unbeschädigt, obwohl sie "nur Meter von der Zerstörung" entfernt liegen.

Die Expertin, die 1992 beim US-Militär als Bildanalystin anfing und später auch für verschiedene Spezialeinheiten sowie die Nato gearbeitet hat, will nicht ausschließen, dass eine Serie von Explosionen das seltsame Schadensmuster verursacht hat - ein außer Kontrolle geratener Raketenmotor, der ein Treibstofflager hochjagt und damit eine Kettenreaktion auslöst. "Allerdings", sagt sie und wägt ihre Worte, "die Tatsache, dass manche der Gebäude nicht zerstört wurden - wie auch der Sportplatz und die ihn umgebenden Bäume - sowie das Fehlen sichtbarer Spuren der ursprünglichen Explosion", die ein solches Inferno in Gang gesetzt haben könnte, "lassen es als eine Möglichkeit erscheinen, dass die Gebäude in Bidganeh individuell mit Präzisionswaffen angegriffen wurden".

Ein zweiter Satellitenbild-Analyst, ebenfalls seit mehr als zehn Jahren in dem Geschäft, kam zu sehr ähnlichen Beobachtungen, als ihn die SZ um eine unabhängige Auswertung der Aufnahme bat - und zu einer sehr ähnlichen Schlussfolgerung: Aus seiner Erfahrung sehe das "eher nach einer gezielten Zerstörung mit speziellen Waffen aus, als nach einem Unfall". Wie seine Kollegin von Jane's wies er darauf hin, dass die Iraner zehn Tage Zeit hatten, auf dem Gelände aufzuräumen, bevor ein kommerzieller Satellit das bisher erste öffentlich zugängliche Foto nach der Explosion machte. Manche Veränderung könne Abrissarbeiten geschuldet sein, schränken beide ein. Doch sie stehen zu ihrer Analyse. Die Möglichkeit einer Kettenreaktion durch in die Luft fliegende Lager für Bestandteile von Raketentreibstoff halten wiederum die Raketenexperten für wenig wahrscheinlich: Auf dem Gelände fehlen die typischen Sicherheitsvorkehrungen für solche Lager, die auch in Iran anderenorts zu finden sind: Erdwälle, die eine Explosion mildern. Oder ausreichende Abstände zwischen den Gebäuden, wie man sie auch bei Depots für konventionelle Munition erwarten würde.

Ein früherer Pentagon-Analyst, der selbst Luftangriffe geplant hat, sagte der SZ, er tippe auf eine Attacke mit Marschflugkörpern. Ein Drohnen-Angriff mit kleinen, gelenkten Bomben ist ebenso denkbar. Auch lässt sich nicht ausschließen, dass Sprengsätze auf das Gelände geschmuggelt worden sind. Doch darüber geben die Satellitenfotos ebenso wenig preis, wie über mögliche Urheber. Die USA verfügen über entsprechende Waffensysteme, und Israel vermutlich auch. Doch das ist blanke Spekulation.

Sicher dagegen ist: Ein möglicher Angriff, vor allem aus der Luft, wäre der Schritt von Geheimdienstoperationen an die Schwelle eines Krieges. Darin liegt zugleich eine Erklärung, warum Iran die USA und Israel nicht beschuldigt - womöglich wider besseren Wissens: Ein Luftschlag würde eine militärische Reaktion fast unausweichlich machen - eine Eskalation, die das Regime wahrscheinlich um jeden Preis vermeiden will. Vielleicht können derzeit alle Beteiligten am besten damit leben, wenn der Tod von General Moghaddam ein Mysterium bleibt.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2011
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