Süddeutsche Zeitung

Mutmaßlicher Giftgasangriff:Arabische Liga nennt syrische Führung "Kriegsverbrecher"

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Die Arabische Liga verschärft den Ton gegenüber Damaskus. In einer Erklärung gibt der Staatenbund dem Assad-Regime die volle Verantwortung für den mutmaßlichen Giftgasangriff. Die USA und Großbritannien bereiten sich auf einen Militäreinsatz vor - Assads Außenminister gibt sich kämpferisch.

Die Arabische Liga hat dem Regime in Damaskus die Schuld an einem mutmaßlichen Giftgasangriff gegeben, bei dem Hunderte Menschen ums Leben gekommen sein sollen. Der Rat der Liga verurteilte am Dienstag in Kairo "dieses abscheuliche Verbrechen". Die Verantwortlichen seien "Kriegsverbrecher" und müssten vor ein internationales Gericht gestellt werden. Gleichzeitig forderte der Rat die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates auf, "ihre Differenzen beizulegen, damit eindeutige Maßnahmen ergriffen werden können, die den Menschenrechtsverletzungen und dem Völkermord durch das syrische Regime ein Ende setzen". Der Irak und Algerien meldeten "Bedenken" gegen die Erklärung an. Der Libanon enthielt sich bei der Abstimmung über das Dokument.

Syriens Außenminister Walid al-Muallim hatte vor der Presse in Damaskus zuvor abgestritten, dass das Assad-Regime für den möglichen Einsatz von Chemiewaffen am vergangenen Mittwoch verantwortlich sein könnte. "Kein Land der Welt würde eine Massenvernichtungswaffe gegen seine eigenen Leute einsetzen", sagte Muallim und wies auch die Vorwürfe von US-Außenminister John Kerry zurück, die Arbeit der UN-Experten zu behindern und Beweise zu vernichten.

Das syrische Regime stellt sich auf einen Angriff unter Führung der USA ein: Muallim sagte, dass dies aber nicht den Untergang der syrischen Armee bedeute und erklärte: "Wenn sie uns angreifen, dann gibt es zwei Möglichkeiten - entweder wir kapitulieren oder wir verteidigen uns. Ich würde sagen, wir werden uns verteidigen mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Das ist die bessere Lösung."

Auf die Frage, welche Mittel das seien, antwortete er: "Wir sind kein Häppchen, das man so einfach verspeisen kann. Wir werden die anderen überraschen." Als ihn ein Journalist fragte, ob er denn sicher sei, dass tatsächlich ein Angriff bevorstehe, erklärte der Minister, dass dies gut möglich sei. Es sei aber auch nicht auszuschließen, dass die Drohungen der vergangenen Tage "Teil des Nervenkrieges sind". Muallim sagte, selbst ein Angriff von Außen könne die syrische Armee nicht davon abhalten, weiter Stellungen der Rebellen anzugreifen.

USA und Großbritannien bereiten sich auf Militärschlag vor

Großbritanniens Premierminister David Cameron berief eine Sondersitzung des Parlaments ein. Am Donnerstag werde das Unterhaus über die Antwort des Landes auf den Chemiewaffeneinsatz abstimmen, erklärte Cameron auf Twitter. Zuvor war bekannt beworden, dass die britischen Streitkräfte Notfallpläne für einen Militäreinsatz vorbereiten. Es werde über eine "angemessene Reaktion" nachgedacht, bestätigte ein Sprecher Camerons, eine Entscheidung aber auf internationaler Ebene gefällt.

Die verschiedenen Szenarien für einen möglichen Militärschlag gegen Syrien werden immer deutlicher: Die USA erwägen einem Zeitungsbericht zufolge einen bis zu zwei Tage dauernden Militärschlag: Wie die Washington Post in der Nacht zum Dienstag unter Berufung auf hochrangige Regierungskreise berichtete, prüft US-Präsident Barack Obama einen Militärschlag, dessen Umfang und Dauer begrenzt wären und die USA nicht tiefer in den syrischen Bürgerkrieg hineinziehen würde. Der US-Sender NBC meldete unter Berufung auf Regierungskreise von einem möglichen Beginn bereits am kommenden Donnerstag.

Vermutlich würde der Angriff mit Marschflugkörpern von See aus oder möglicherweise auch durch Langstreckenbomber erfolgen, berichtet die Post. Ziele wären Armee-Einrichtungen, die nicht direkt in Verbindung mit dem Chemiewaffen-Arsenal des Landes stehen. Kriegsschiffe der US-Marine mit Marschflugkörpern befinden sich bereits im Mittelmeer. Die USA hätten die Nutzung von zwei Stützpunkten in Südgriechenland und auf Kreta beantragt, berichtete die Athener Zeitung Kathimerini.

Wie die Washington Post weiter berichtete, hängt die Umsetzung des Plans von drei Faktoren ab: Der Abschluss der Geheimdienst-Ermittlungen zu dem mutmaßlichen Angriff nahe Damaskus, die Beratungen mit den Verbündeten und dem US-Kongress sowie das Vorhandensein einer juristischen Grundlage auf der Basis internationalen Rechts.

UN-Inspekteure brauchen Zeit für die Auswertung

Die UN-Experten hatten am Montag in zwei Krankenhäusern nahe Damaskus Betroffene des mutmaßlichen Giftgasangriffs vom vergangenen Mittwoch untersucht. Sie hätten mit Überlebenden und Ärzten gesprochen und auch einige Proben genommen, teilte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mit. Es brauche nun etwas Zeit für eine erste Auswertung, sagte er. Laut Ärzte ohne Grenzen sind in von der Organisation betreuten Krankenhäusern 3600 Menschen mit Symptomen einer Vergiftung mit Nervengift behandelt worden. Von ihnen seien 355 gestorben.

US-Außenminister Kerry hatte erklärt, dass Washington vom Einsatz von chemischen Waffen gegen Zivilisten in Syrien so gut wie überzeugt sei. Es gebe weiterhin Untersuchungen, so Kerry. Doch er warf Damaskus vor, UN-Beobachtern fünf Tage lang Zugang zu dem Gebiet des vermeintlichen Giftgaseinsatzes verweigert zu haben. Zudem habe das Regime durch den weiteren Beschuss des Viertels Beweise vernichtet. Es handele sich bei einem Giftgaseinsatz um eine "moralische Obszönität", sagte Kerry. "Was wir in der vergangenen Woche in Syrien gesehen haben, schockiert das Bewusstsein der Welt."

Rasche Entscheidung erwartet

Zuvor hatte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel in der indonesischen Hauptstadt Jakarta betont: "Bevor alle Fakten auf dem Tisch liegen und wir absolut sicher wissen, was in Syrien passiert ist, werde ich nichts zu möglichen Konsequenzen sagen." Eine mögliche Reaktion werde immer mit der internationalen Gemeinschaft abgestimmt sein.

Großbritanniens Außenminister William Hague betonte dies ebenfalls, erklärte aber, ein militärisches Eingreifen sei auch ohne einstimmiges Votum des Weltsicherheitsrates legitim. Großbritanniens Premierminister Cameron hatte einem Bericht der Times zufolge in einem Telefonat mit Obama eine militärische Antwort gefordert.

Auch Frankreich rechnet mit einer raschen Entscheidung. "Alles wird sich in dieser Woche abspielen", sagte Präsident François Hollande am Montag der Zeitung Le Parisien. Es seien mehrere Optionen auf dem Tisch, "von einer Verstärkung der internationalen Sanktionen über Luftangriffe bis zur Bewaffnung der Rebellen". Auch die Türkei erklärte sich zur Teilnahme an einem Militärbündnis bereit.

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