Süddeutsche Zeitung

Mursi bei Merkel:"Deutschland glaubt an uns"

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Bei seiner Reise nach Berlin steht Ägyptens Staatspräsident Mohammed Mursi unter Druck. In möglichst kurzer Zeit muss er möglichst viel Eindruck hinterlassen. Es geht um Investitionen, Entwicklungshilfe, die Rückkehr der Touristen, Schuldenerlass. Vor allem aber um Vertrauen. Trotzdem macht er dem Westen Vorwürfe.

Von Daniel Brössler, Berlin

Der Zeitplan der Bundeskanzlerin ist eng, manchmal grausam eng. Am Mittwoch will er es, dass Angela Merkel direkt von der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag kommt, als sie den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi empfängt.

Die Schriftstellerin Inge Deutschkron hat dem Parlament ihre Jugend im nationalsozialistischen Berlin geschildert und beschrieben, was es bedeutet, Rassenhass am eigenen Leib zu spüren. Nun, eine gute halbe Stunde danach, schreitet Merkel nach dem Erklingen beider Hymnen mit Mursi in Wind und Regen vor dem Kanzleramt die Ehrenformation ab. Mit jenem Mann, der vor seiner Zeit als Präsident Muslimbruder war und vor drei Jahren in einem Fernsehinterview Israelis als "Nachkommen von Affen und Schweinen" bezeichnet hat.

Das Bekanntwerden dieses Zitats hat eine Reise zumindest nicht einfacher gemacht, die aus ganz anderen Gründen ohnehin kompliziert ist. Ägypten ist in Aufruhr, in drei Städten herrscht ein von Mursi verhängter Ausnahmezustand, und die Gewalt nimmt kein Ende. Der Unmut der Ägypter verfolgt Mursi bis Berlin. Unweit des Kanzleramts haben sich Demonstranten versammelt. Während der Begrüßung mischen sich ihre Rufe mit der Blasmusik.

"Demokratische Atmosphäre"

Mursi ist klar, dass er nicht zu lange in der Fremde weilen kann, während sich die Lage in der Heimat zuspitzt. Eine Übernachtung sowie einen Termin bei Bundespräsident Joachim Gauck am Donnerstagmorgen hat der Ägypter deshalb abgesagt, ebenso den eigentlich geplanten Weiterflug nach Paris. Folglich steht Mursi unter dem Druck, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Eindruck zu hinterlassen. Es geht um Investitionen, Entwicklungshilfe, die Rückkehr der Touristen, Schuldenerlass, vor allem aber um Vertrauen.

Beim Mittagessen nutzt Mursi seine erste Begegnung mit Merkel, um das zu schildern, was er die "Gesamtentwicklung" nennt. Er lässt die vergangenen zwei Jahre Revue passieren und versucht darzulegen, dass sein Land keineswegs auf Chaos oder auf Diktatur zustrebt, sondern planmäßig eine Demokratie einführt. In mehreren Monaten werde es Parlamentswahlen geben. "Ägypten wird ein Rechtsstaat sein. Es wird ein ziviler Staat sein und nicht militärischer Natur. Es wird ein Staat sein, der Meinung und Gegenmeinung zulässt und auch einen Machtwechsel", verkündet Mursi dann während der Pressekonferenz mit Merkel. "Er wird ein demokratischer Staat in jeder Bedeutung des Wortes sein."

Mursi schwärmt gar von einer "viel versprechenden demokratischen Atmosphäre". Es ist eine Journalistin des ägyptischen Fernsehens, die ihn wieder auf den Boden der Tatsachen holt mit der Frage, warum er gegen seine angebliche Überzeugung den Ausnahmezustand verhängt habe. Ja, aber doch nur in drei Städten und auch nur auf Zeit, verteidigt sich der Präsident. "Diese Maßnahme dient der Sicherheit der Einwohner", versichert er.

Während der Pressekonferenz gibt Merkel nicht zu erkennen, wie viel sie von dem glaubt, was sie hört. "Wir schätzen es auch sehr, dass angesichts einer nicht einfachen innenpolitischen Lage der Besuch, wenn auch verkürzt, heute hier stattfinden konnte", sagt sie gleich zu Beginn. Es bleibt das einzige echte Lob.

Ansonsten spricht die Kanzlerin eher über Erwartungen, Hoffnungen und Angebote. Deutschland wünsche ein Gelingen des Transformationsprozesses, betont Merkel. Wichtig dafür sei eine "gute, gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung". Wichtig seien der Gesprächsfaden zu allen politischen Kräften, die Menschenrechte und die Religionsfreiheit - womit die CDU-Vorsitzende auf die Lage der christlichen Kopten in Ägypten abzielt.

Ob auch die antisemitischen Äußerungen Mursis zur Sprache gekommen seien, wird Merkel gefragt. "Wir haben darüber gesprochen", antwortet sie knapp, "und der Präsident hat auch gesagt, was er dazu meint, und deshalb übergebe ich auch an den Präsidenten." Die Zitate seien, erklärt Mursi, aus "ihrem Kontext gerissen" worden, was die Frage offen lässt, in welchem Kontext Israelis als "Nachkommen von Affen und Schweinen" zu bezeichnen richtig sein könnte. "Ich bin nicht gegen das Judentum als Religion. Ich bin nicht gegen die Juden. Es war die Rede von den Praktiken", rechtfertigt sich Mursi. Es sei um Blutvergießen gegangen, das er verurteile.

Mursi wählt seine Äußerungen stets so, dass sie ihm zu Hause keinen neuen Ärger bereiten, möglichst aber auch nicht zu weit hinter den Erwartungen der Gastgeberin zurückbleiben. Mehrmals betont er, wie gut das Verhältnis zu Deutschland sei. "Ich empfinde es so, dass die Haltung Deutschlands von Tag zu Tag unterstützender wird unserem demokratischen Transformationsprozess gegenüber", sagt er. So trage Deutschland ein Viertel einer Fünf-Milliarden-Dollar-Zusage der EU für Ägypten. "Deutschland glaubt an uns", sagt Mursi.

Es sei "ganz wichtig für unsere Wirtschaft, dass wir stabile rechtliche Rahmenbedingungen haben", präzisiert Merkel das ein wenig. "Je weiter der Prozess in Ägypten sich entwickelt dahin, dass auch die Stabilität gegeben ist, umso mehr deutsche Unternehmen werden sich auch in Ägypten engagieren", sagt sie.

Später, bei einem Termin bei der Körber-Stiftung, holte Mursi dann doch noch zu einem kleinen Gegenschlag aus: Er warf dem Westen vor, das undemokratische System in Ägypten viele Jahre unterstützt zu haben. Deshalb müsse es jetzt zu einem gleichberechtigten Dialog kommen. Es dürfe nicht sein, "dass eine Seite glaubt, sie könne sich über die andere erheben".

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Quelle:
SZ vom 31.01.2013
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