Süddeutsche Zeitung

Mohammed Mursi:Plötzlicher Tod des Intermezzo-Präsidenten

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Einst erster Islamist an der Spitze Ägyptens, stirbt Mohammed Mursi mitten im Gerichtssaal bei einer Anhörung. Kurz darauf machten bereits Mordtheorien die Runde.

Von Sonja Zekri, München

Wenn es je einen Menschen gab, der die Höhenflüge und die Abstürze des Arabischen Frühlings verkörperte, dann war es Mohammed Mursi, Ingenieur aus einem Dorf im Nildelta, erster Islamist an der Spitze Ägyptens, ein Jahr lang Hoffnungsträger für die Frommen der Region, dann: weggeputscht, in vielerlei Verfahren angeklagt, hinter Gittern seit Jahren. Am Montag ist er während der Gerichtsverhandlung zusammengebrochen, im Krankenhaus habe nur noch sein Tod festgestellt werden können, berichtete das ägyptische Fernsehen. Neue äußere Verletzungen seien nicht entdeckt worden. Ein Anwalt Mursis sagte, dieser sei während der Haft in schlechter gesundheitlicher Verfassung gewesen. Die Muslimbrüder warfen dem Staat vor, absichtlich für einen "langsamen Tod" Mursis gesorgt zu haben.

Mohammed Mursi, geboren 1951 in Al-Adwa, hat sich vom Juni 2012 bis Juli 2013 als Präsident Ägyptens halten können, ehe das ägyptische Militär tat, was es im Falle islamistischen Machtzuwachses immer tut, nämlich: die entschiedene Entmachtung einzuleiten. Es war ein politischer Unfall, dass Mursi das höchste Staatsamt zufiel. Nach dem Sturz des Langzeitpräsidenten Hosni Mubarak im Januar 2011 richteten sich große Hoffnungen auf die Muslimbrüder. Viele hatten unter Mubarak über Jahrzehnte im Gefängnis gesessen, eine größere Distanz zum verhassten Regime schien nicht denkbar. Von diesem Repressionsbonus profitierte auch Mursi, auch wenn er nicht auf Kerkererfahrung zurückgreifen konnte, sondern in Kalifornien als Ingenieur promoviert hatte.

Aber Mursi, der sich nach seiner Rückkehr aus den USA den Muslimbrüdern angeschlossen hatte, stieg rasch auf: linientreu, unoriginell, graugesichtig und zuverlässig - ein frommer Apparatschik, wie er im Buche steht. Als Chairat al-Schater, der charismatische Kandidat der Muslimbrüder, nicht zu den Wahlen zugelassen wurde, schlug Mursis Stunde. Ägyptens Medien spotteten über den "stibn", den Ersatzreifen. Bis heute ist nicht klar, ob er aus echtem Machtwillen oder aus Pflichtbewusstsein antrat, zweifellos aber profitierte er davon, dass die Egos seiner beiden Kontrahenten nicht zuließen, dass einer zugunsten des anderen verzichtete, um Mursi zu verhindern. In der Stichwahl trat Mursi gegen den Fliegergeneral Ahmed Schafik an. Dann kannte der Jubel der Muslimbrüder keine Grenzen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes war ein Islamist demokratisch gewählt worden. War dies das Ende der Demokratie oder der Beginn eines demokratisch gezähmten Islamismus?

Heute weiß man: nichts von beidem. Mursi versprach, er werde der "Präsident aller Ägypter" sein, aber längst nicht alle Ägypter wollten ihn als Präsidenten. Er brachte den Staatsapparat nie auf seine Seite - nicht die Diplomatie, nicht die Sicherheitsbehörden - , und auch nicht die Justiz und die privaten Medien. Er setzte eine Verfassung durch, die bei vielen Liberalen schlimmste Ängste schürten. Für Künstler, die sich gerade erst an die neuen Freiheiten gewöhnten, war er eine Katastrophe. Vor einem Deutschlandbesuch tauchte ein Video auf, in dem er "Zionisten" als "Kinder von Affen und Schweinen" bezeichnete. Das Militär duldete ihn, aber als er die Ägypter zum Dschihad in Syrien aufrief, reichte es ihnen. Plötzlich war im Land kaum noch Benzin zu bekommen, eine bemerkenswert großzügig finanzierte Anti-Mursi-Bewegung namens "Tamarod", Rebellion, trat auf den Plan. Im Juli 2013 strömten die Ägypter, wieder einmal, auf die Straße. Die entmachteten Islamisten hielten sich noch ein paar Wochen in Protestlagern, die schließlich brutal geräumt wurden. Mursi saß da längst in Haft. Das islamistische Intermezzo war vorbei. Den Militärchef, der ihn absetzte, hatte Mursi selbst ins Amt berufen. Er heißt Abdel Fattah al-Sisi und sollte Ägypten als Präsident schlimmer knebeln als es Mursi je gelang.

Mohammed Mursi war ein historischer Präsident. In einem Land, das seit 100 Jahren durch die Konfrontation von Islamisten und Militär gelähmt wird, hätte er, so sehen es viele, beweisen können, dass auch Islamisten demokratiefähig sind - oder dass sie zumindest demokratisch besiegbar sind. Diese Chance, die Möglichkeit eines unblutigen Machtwechsels, schlug er aus. Aber vielleicht hat es sie auch nie gegeben.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2019
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