Süddeutsche Zeitung

Mubarak-Nachfolge:Rechnung mit einem Unbekannten

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Drei prominente Namen werden genannt, wenn die Ägypter über einen neuen Präsidenten spekulieren - nur die Muslimbrüder halten ihre Pläne bislang geheim

Rudolph Chimelli

Vor zehn Jahren wurde Amr Mussa auf den Posten des Generalsekretärs der Arabischen Liga abgeschoben. Präsident Mubarak wollte ihn loswerden, denn er war als Außenminister zu populär geworden. Aber als möglicher Konkurrent war er dadurch nicht ausgeschaltet. Denn kein arabischer Politiker erschien seitdem öfter auf den Bildschirmen zwischen Atlantik und Golf als er, keiner ist schlagfertiger. Die Journalisten lieben den 74-jährigen Diplomaten mit der Zigarre, und er liebt sie. Keiner verlässt ihn ohne eine zitierfähige Replik. Jetzt ist Amr Mussa wieder da und meldet sein Interesse an einer Präsidentschaftskandidatur an.

Als Jurist besitzt er eine Lizenz von der Universität Kairo und einen Doktorhut in internationalem Recht aus Paris. Als Berufsdiplomat war er Botschafter in der Schweiz, der Sowjetunion und Indien sowie bei internationalen Organisationen. Am Friedensabkommen Ägyptens mit Israel in Camp David wirkte Amr Mussa mit. Doch die Israelis mögen ihn nicht. Nur wenige Tage, nachdem er 1991 sein Amt als Außenminister angetreten hatte, übte er scharfe Kritik an ihrer Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten. Während eines Besuchs in Jerusalem hatte er "keine Zeit" zum Besuch der Gedenkstätte Jad Vaschem. Bei einem Fernsehduell mit seinem israelischen Kollegen Schimon Peres in den USA zeigte er sich überlegen. Der populäre Musiker Schaaban Abdel-Rahim brachte danach eine Platte heraus mit dem Titel "Amr Mussa liebe ich, Israel verabscheue ich". Fünf Millionen Exemplare wurden verkauft. Kurz vor seiner Ermordung fand Israels Premierminister Jitzhak Rabin, von Amr Mussa gehe "ein widerlicher Geruch" aus.

Seine Meinung hielt der Minister nirgends zurück. Die Amerikaner zum Beispiel warnte er vergeblich: "Ein Krieg gegen den Irak würde die Tore der Hölle öffnen." Den Staatschefs der Liga, die zum Teil mit ihren Beiträgen seit Jahrzehnten im Rückstand waren, sagte er auf einem Gipfeltreffen, 500 Projekte auf den Gebieten der Entwicklung, des Umweltschutzes, der Familie und der Förderung von Kindern seien aus Geldmangel nicht verwirklicht worden. Vom wütenden kuwaitischen Kronprinzen ließ sich Amr Mussa dabei nicht unterbrechen. Einmal weigerte er sich, dem Herrscher von Katar die Hand zu schütteln, weil dieser in einer Zeitung, die ihm gehörte, eine abschätzige Karikatur des Scheichs der Al-Azhar-Universität nicht verhindert hatte.

Als Präsident bräuchte Amr Mussa keine Lehrzeit. Er kennt den Staatsapparat Ägyptens und dessen internationale Verflechtungen. Auch angesichts seiner Popularität geben ihm viele Ägypter die meisten Chancen. Dank seiner Erfahrung verfügt er über genau jene Qualitäten, die seinem möglichen Konkurrenten Mohamed ElBaradei fehlen.

ElBaradei ist ein integrer Mann, den Helfershelfer des Regimes in diesen Krisentagen als "Agenten der Amerikaner" zu verleumden versuchen. Dabei hatte ElBaradei Washington nachhaltig verärgert, als er während des Trommelns der Bush-Regierung für den Irak-Krieg beharrlich nachwies, dort gebe es entgegen der Behauptung der Amerikaner keine Massenvernichtungswaffen. Vergeblich versuchten die USA später, seine Wiederwahl zum Chef der Internationalen Atom-Agentur in Wien zu verhindern. Nach Ende seiner Amtszeit wurde der 68-Jährige zu einer zentralen Figur der Bewegung für Veränderung, in der sich Oppositionelle zusammengeschlossen hatten. "Ich suche einen Job", sagte er lächelnd im Frühling vorigen Jahres bei einem Vortrag in Harvard. Im vergangenen Herbst rief er zum Boykott der Parlamentswahl auf, weil diese manipuliert würde. Ende Januar forderte er Mubarak auf zu gehen und bot sich als Chef einer Übergangsregierung an. Schon am ersten Tag der Proteste hielt er eine kurze Rede auf dem Tahrir-Platz.

Der diskrete, elegante Herr, der stets bescheiden auftritt, war nie ein Günstling des Regimes. Schon früh war der Jurist, der nach einem Studium in Kairo seinen Doktor an der New York University machte, in UN-Dienste getreten. Seine Tochter Leila ist Juristin wie er, sein Sohn Mustafa ist Biotechniker. ElBaradei wäre die ideale Galionsfigur für ein Staatsschiff, das einen neuen Kurs sucht; ein Machtmensch auf der Kommandobrücke wie die drei bisherigen Präsidenten wäre er nicht.

Der neu ernannte Vizepräsident Omar Suleiman, bisher Chef der Geheimdienste, bräuchte sich im Präsidenten-Palais kaum einzuarbeiten. Von Hosni Mubarak unterscheidet ihn, dass er schon immer fand, die Muslimbrüder müssten ins System des Landes eingebunden werden. Aber Suleiman sagt, er wolle nicht kandidieren. Er könnte es sich allerdings anders überlegen, falls sich die Lage ändert. Vieles hängt von der Haltung der Armee ab, deren Oberkommandierender, General Mohammed Hussein Tantawi, am Freitag seine Soldaten auf dem Tahrir-Platz inmitten der demonstrierenden Menge besuchte. Er ist ein enger Vertrauter Mubaraks. Die Muslimbrüder, in deren junger Generation es zur Zusammenarbeit bereite Pragmatiker gibt, wollen offenbar ihre Führungsriege nicht vorzeitig abnutzen. Sie halten sich bei den Debatten um mögliche Präsidentschaftskandidaten zurück.

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SZ vom 05./06.02.2011
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