Süddeutsche Zeitung

Bundestag:Die Kanzlerin zieht eine Art Bilanz

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Vieles erreicht, noch viel zu tun: Bei Angela Merkels letzter Fragestunde im Bundestag geht es immer wieder um ihre 16-jährige Amtszeit. Ein AfD-Abgeordneter kann dabei etwas lernen.

Von Nico Fried, Berlin

Es ist aber auch eine komische Ampel. Sie leuchtet grün, wenn Angela Merkel zu reden beginnt. Von nun an hat die Kanzlerin eine Minute Zeit. Aber schon nach 30 Sekunden springt die Ampel zur Vorwarnung auf Gelb. "Wenn ich dann noch so viele Gedanken im Kopf habe, dann muss ich aufpassen, dass ich nicht durcheinanderkomme", sagt Merkel. Schließlich hat sie mal gelernt: "Bei Gelb fährt man nicht mehr los."

Es ist die letzte Fragestunde im Parlament, der sich diese Bundeskanzlerin stellt. Das Instrument wurde in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode eingeführt, um den Abgeordneten ab und zu die Gelegenheit zu geben, Merkel direkt zu befragen. An diesem Mittwoch wird sie naheliegenderweise immer wieder gebeten, eine Bilanz zu ziehen, quasi 16 Jahre in einer Minute. Da wird es schnell mal gelb und auch ziemlich häufig rot.

Aber erst mal geht es ums Geld. Wenige Stunden vor der Fragestunde hat das Kabinett den Haushaltsentwurf für das nächste Jahr beschlossen. Knapp 100 Milliarden Euro neue Schulden sollen aufgenommen werden. Unionskanzlerkandidat Armin Laschet und Beinahe-Kanzlerkandidat Markus Söder, die nicht so recht sagen können, wovon sie ihre Wahlgeschenke bezahlen wollen, hatten zuletzt Skepsis gegenüber den Zahlen von Finanzminister Olaf Scholz erkennen lassen und einen Kassensturz für die Zeit nach der Wahl angekündigt.

Ob Merkel das nicht als Misstrauen gegen ihre Regierung interpretiere, fragt Carsten Schneider, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, nicht zu Unrecht. Tut sie natürlich nicht. Man gucke halt in die Bücher, wie das immer wieder geschehe, sagt die Kanzlerin, das tue ja der Finanzminister auch jeden Tag. Was die Überzeugungskraft ihrer Antworten angeht, befindet sie sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Aufwärmphase.

Beim Klimaschutz könne "kein Mensch sagen, dass wir genug getan haben"

Aus der Union wird Merkel dann um eine Bilanz der Corona-Politik gebeten. Die Kanzlerin räumt ein, dass man im Laufe der Pandemie habe dazulernen müssen, vor allem beim Schutz der Pflegeheime. Und es gebe "sehr, sehr viele Menschen, die gelitten haben". Trotzdem findet sie unterm Strich, "dass wir vieles richtig gemacht haben, auch im internationalen Vergleich".

Das findet die AfD nicht. Der Abgeordnete Sebastian Münzenmaier zitiert eine neue Studie, in der die Verlässlichkeit der PCR-Tests infrage gestellt wird und damit eine Grundlage für manchen Lockdown der vergangenen Monate. Das ist eine Frage ganz nach dem Geschmack Merkels. Erst erklärt sie Münzenmaier die Verlaufskurven von Infektionen - da springt die Ampel bereits auf Gelb - und dann die damit zusammenhängenden Schwankungen von PCR-Werten. Da zeigt die Ampel Rot. Die Nachfrage des AfD-Mannes nutzt die Kanzlerin zu einem weiteren Vortrag über den Unterschied zwischen PCR-Wert, Ct-Wert und Inzidenz. Als die Ampel schon lange auf Rot steht, winkt Merkel einfach ab und sagt in Richtung der Sitzungspräsidentin Petra Pau: "Das hole ich bei der nächsten Frage wieder rein." Pau widerspricht nicht. Und Sebastian Münzenmaier könnte die Sitzung später mit dem Gedanken verlassen haben: wieder was gelernt.

Die nächste Bilanz betrifft den Klimaschutz. Der Grünen-Abgeordnete Oliver Krischer hat ein Video aus dem Jahre 1997 gefunden, in dem die damalige Umweltministerin Merkel über die die Dringlichkeit des Problems spricht. Ob sie denn mit dem zufrieden sei, was sie als Kanzlerin erreicht habe, will Krischer wissen. Merkel sagt daraufhin den bemerkenswerten Satz: "Wenn ich mir die Situation anschaue, kann kein Mensch sagen, dass wir genug getan haben." Allerdings meint Merkel damit nicht etwa ihre Regierungen allein, sondern die Weltgemeinschaft insgesamt. Für sich selbst nimmt sie bei der Erhöhung der Klimaziele "wachsende Ambitionen für die Dauer meiner politischen Tätigkeit" in Anspruch. Und darin finde die Dringlichkeit von 1997 durchaus ihren Ausdruck.

Heiterkeit bei der Frauenfrage

Es folgen weitere Bilanzen, zur Rente, zum Wohnungsbau, auch zur Bundeswehr. Merkels Urteil fällt immer nach demselben Muster aus: vieles erreicht, aber auch noch viel zu tun. Ulle Schauws, Abgeordnete der Grünen, fragt schließlich, ob die Kanzlerin nach 16 Jahren mit dem Anteil der Frauen in der Politik zufrieden sei. Da ist die Kanzlerin nun eindeutig: Sie findet diesen Anteil "absolut nicht ausreichend".

Schauws stellt daraufhin eine Falle, die leicht zu erkennen ist, aber doch Heiterkeit auslös. Ob Merkel es für gut hielte, wenn auch nach ihr eine Kanzlerin das Land regieren würde. Merkel antwortet mit einem wunderbar missverständlichen Satz: "Ich bin der Meinung, dass nach 16 Jahren Angela Merkel die Bürgerinnen und Bürger mündig genug sind, ihre Entscheidung zu treffen, wen sie als Kanzler möchten oder als Kanzlerin."

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