Süddeutsche Zeitung

Meine Presseschau:Schadenfreude

Lesezeit: 2 min

Die deutsche Flüchtlingspolitik wird in den französischen Medien seit Langem intensiv verfolgt. Nach den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln zeigen viele Kommentatoren Schadenfreude.

Ausgewählt von Christian Wernicke

Natacha Polony ist eine streitbare Person. Die Kolumnistin polemisiert tagtäglich in Frankreichs Funk und Fernsehen, obendrein unterhält sie ihre Leser im konservativen Figaro jedes Wochenende mit einer Streitschrift gegen linke Weltverbesserer, gläubige EU-Europäer und deutsche Gutmenschen. Angela Merkel zum Beispiel, aus Pariser Perspektive die Mutti aller Flüchtlinge, ist für Polony ein Graus. Am Dienstag dieser Woche durfte Polony bei BFM-TV, Frankreichs führendem Nachrichtenkanal, erneut über Merkels Migranten reden. Genauer: Über jene , die mit ihren Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht zeitverzögert auch in Frankreich für Schlagzeilen sorgten. "Das Drama von Köln" deutete Polony als finales Scheitern von Merkels Politik. Und sie verwob "Cologne" prompt mit "Istanbul", dem Terroranschlag mit zehn deutschen Opfern: "Köln und das schreckliche Attentat sollten Deutschland veranlassen, sich der Wirklichkeit zu stellen". Das Nachbarland könne "nicht länger nur Handelsmacht" sein - beide Ereignisse "sollten Deutschland endlich zwingen, seine Verantwortung wahrzunehmen". Polony meinte die Last von Europas Verteidigung im Anti-Terror-Krieg, die Frankreich "nicht länger allein tragen kann". Nach Köln, nach Istanbul müssten endlich die Deutschen an die Front.

Nicht alle Schlüsse, die unsere Nachbarn westlich des Rheins aus dem Skandal von Köln zogen, fielen derartig dramatisch aus. Frankreichs Medien beschrieben zunächst die Zustände - drastisch, aber handwerklich sauber: die Verzweiflung betroffener Frauen, das Versagen der Polizei, das Dilemma der Kanzlerin.

Nur, im Tonfall vieler Kommentare ließ sich ein Konsens ausmachen: Der Neujahrs-Schock von Köln sollte diese Deutschen, die dem Kontinent seit Monaten Moral lehren, endlich ernüchtern. Madame Merkel werde sich fortan hüten, "gegenüber Flüchtlingen ein gastfreundliches Gesicht zu zeigen", lästerte Frédéric Lemaître, der Korrespondent von Le Monde. Seine Redaktion titelte: "Wie Köln alles verändert hat".

Das klang wie eine Melange aus Erleichterung und Hoffnung: Endlich kommen sie zur Vernunft, diese Deutschen! Die linke Libération stellt wie selbstverständlich fest, seit Köln habe sich "der Diskurs der Kanzlerin verhärtet". Das halblinke Magazin L'Obs erinnert daran, dass nicht nur muslimische Männer Täter sind: Auch beim Oktoberfest beklagten sich Frauen über urdeutsche Grabscher, wenn sie auf dem Weg zur Damen-Toilette "Spießrutenlaufen" müssten. Unterm Strich jedoch würden alle französischen Beobachter unterschreiben, was das Figaro-Magazin schreibt: "Merkel steht mit dem Rücken zur Wand." Längst haben die Flüchtlinge die Erzfreunde entfremdet: Die Franzosen sehen "Cologne" als Ort deutscher Scham, nachdem die Deutschen ihren Nachbarn schon lange den "Dschungel" von Calais als "Lager der Schande" vorhielten. Nun steht es eins zu eins.

Manches, was nun in Frankreich geschrieben wird, trieft vor Schadenfreude. Die Website des Magazins Causeur etwa diagnostiziert "Merkels Kater". Die Täter von Köln, so fabuliert der einstige Deutschland-Korrespondent Luc Rosenzweig, hätten doch nur die Äußerungen der Kanzlerin "wortwörtlich genommen", wonach, bitte schön, "deutsche Bürger die Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen sollten". Für die Asylbewerber sei deshalb "die Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse Teil der Rechte eines Flüchtlings gewesen". Merkel habe Begierden geweckt, deshalb habe Deutschland - anders als Frankreich - nun "sexuelle Massenunruhen" erlebt. Selber schuld.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2819606
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.01.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.