Süddeutsche Zeitung

Meine Presseschau:Der Schock aus dem Norden

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Lateinamerika duckt sich weg angesichts der Attacken von Donald Trump. Ausgerechnet der Präsident Venezuelas sucht die Nähe des neuen Mannes.

Ausgewählt von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Wer mexikanische Zeitungen liest, der ist schon seit Tagen auf das Schlimmste vorbereitet: Ein Krieg gegen die USA ist im Grunde undenkbar. Aber was ist schon noch undenkbar, seitdem Donald Trump eine Gewissheit nach der anderen zerdeppert? Die Beziehungskrise zwischen USA und Mexiko hat sich auch nicht entschärft, seitdem berichtet wird, Trump habe seinem mexikanischen Kollegen Peña Nieto am Telefon gedroht, amerikanische Truppen über den Rio Grande zu schicken. Zwar hat Washington eine entsprechende Recherche der Agentur AP dementiert, aber was dort dementiert wird, glauben die meisten Mexikaner erst recht.

"Der neue Präsident greift an. Vorsicht, ein Krieg ist in Sicht!", diese Katastrophenwarnung kommt ausnahmsweise nicht aus Mexiko, sondern von der venezolanischen Zeitung El Nacional. Sie erinnert daran, dass Trumps Einreisestopp für Menschen aus sieben muslimischen Staaten auch eine wenig beachtete Passage enthält. Nämlich die Anordnung, die Visa-Bedingungen für Staaten zu prüfen, die aus Sicht des Weißen Hauses Terroristen beherbergen, darunter Venezuela. El Nacional gehört zu den wenigen regierungskritischen Zeitungen des Landes. Und für große Teile ihrer Leserschaft war Auswanderung in die USA stets eine der letzten Optionen, um dem Krisenstaat ihres Demagogen Nicolás Maduro zu entkommen. Wenn nun der neue Demagoge aus Washington damit droht, die Grenzen zu schließen, dann ist aus Sicht vieler Venezolaner in der Tat Panik angebracht.

In ganz Lateinamerika herrscht Verunsicherung. Die meisten Regierungen scheinen noch auf der Suche nach einem geeigneten Umgang mit Trump zu sein. Aus Sicht der Folha de São Paulo haben die ersten Tage der Trump-Ära deshalb auch den gesamten Subkontinent als Leichtgewicht entlarvt. "Mexiko ist eine Zielscheibe, die für alle Lateinamerikaner steht", schreibt die brasilianische Zeitung. Trotzdem habe es kein Land der Region fertiggebracht, ein Wort der Solidarität mit Mexiko zu äußern. "Angst, Kleinmut, Unterwürfigkeit, das Taktieren auf einen kleinen Vorteil, es gibt viele Gründe, weshalb die lateinamerikanischen Regierungen sich zum Nichtstun gezwungen fühlen." Das ist auch explizit an die konservative Regierung in Brasília gerichtet, die sich besonders auffällig unauffällig verhält. "Lateinamerika macht sich entbehrlich, angeführt von Brasilien", findet die Folha.

Am lautesten tönt da noch der Venezolaner Maduro. Allerdings nicht, wie man es von einem Sozialisten erwarten könnte, mit Verwünschungen auf den Großkapitalisten Trump, sondern mit Huldigungen. Beide Präsidenten seien einer Hasskampagne der Medien ausgesetzt, behauptet Maduro. El Nacional verweist auf eine andere Gemeinsamkeit: den relativ unverkrampften Umgang mit Wladimir Putin. Maduro verlieh dem russischen Kollegen sogar einen Friedenspreis, den er extra für ihn erfunden hatte. Er hoffe offenbar, "dass Putin ein gutes Wort für ihn in Washington einlegt", meint das Blatt.

Kolumbiens einflussreiche Wochenzeitung Semana trauert derweil Barack Obama nach und fragt: "Wer kann uns jetzt noch inspirieren?" Drei Vorschläge hat der Autor schon: Kanadas Premier Justin Trudeau, Londons muslimischer Bürgermeister Sadiq Khan und - "Mama Merkel". Die Bundeskanzlerin und der US-Präsident, sind aus Sicht von Semana "wie Wasser und Öl". Sie öffnet, er schließt die Türen für notleidende Menschen. Zwar habe Deutschland nicht die Macht, um die USA als "Anführer der freien Welt" abzulösen. Aber, da ist sich das kolumbianische Nachrichtenmagazin sicher, "es baut sich als Gegengewicht auf".

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SZ vom 04.02.2017
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