Süddeutsche Zeitung

Massenvernichtungswaffen:George W. Bushs größter Fehler

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Größte anzunehmende Fehlinformation: Bush bereut, schiebt aber den Geheimdiensten die Schuld zu. Eine grobe Verzerrung der Wirklichkeit.

Hans Leyendecker

Als "größten Fehler" seiner Amtszeit hat der scheidende US-Präsident George W. Bush die falschen Aussagen zu angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak bezeichnet.

"Am meisten ist während meiner Präsidentschaft das Scheitern der Geheimdienste im Irak zu bedauern", sagte Bush in einem Fernseh-Interview: "Eine Menge Leute haben ihr Ansehen aufs Spiel gesetzt und gesagt, die Massenvernichtungswaffen sind ein Grund, Saddam Hussein zu entmachten."

Er wolle nicht darüber spekulieren, ob er den Krieg auch ohne die falschen Informationen begonnen hätte, sagte er.

Diverse US-Präsidenten haben gelegentlich die Unwahrheit gesagt. Aber die Einlassung Bushs, er sei von Geheimdiensten falsch informiert worden, ist eine der gröberen Verzerrungen der Wirklichkeit. Nach dem 11. September attackierten die USA zwar Afghanistan, weil dort der Auftraggeber des Massenmordes, Osama bin Laden, Zuflucht gefunden hatte, aber das eigentliche Ziel war damals schon der Irak.

Irak-Obsession der Bush-Gefolgsleute

Buch-Autor Bob Woodward hat die Irak-Obsessionen der Bush-Gefolgsleute entlarvt. Vor allem der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der Falke Paul Wolfowitz und Vizepräsident Dick Cheney hatten den Irak früh ins Visier genommen. Weil Cheney und Rumsfeld den meisten Geheimdiensten misstrauten, wurde Anfang 2002 im Pentagon eine Arbeitgruppe mit dem Titel "Office of Special Plans" (OSP) installiert, die sich selbst "the cabal" nannte. Das heißt "Intrige", und dieser Name war für die verschworene Truppe, die nur zwei Dutzend Mitarbeiter hatte, keine Übertreibung.

Aufgabe der Spezialabteilung war es, Beweise für eine Verbindung zwischen dem Diktator Saddam Hussein und Osama Bin Laden herbeizuschaffen und das Arsenal der angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddams neu zu taxieren. Dabei hatten sie relativ freie Hand, denn seit dem Auszug der UN-Inspekteure verfügten die US-Dienste über keine eigenen Quellen mehr im Irak.

Der amerikanische Journalist Seymour Hersh beschrieb das Verfahren des OSP als Prinzip "Ofenrohr". Ohne die übliche Prüfung durch den normalen Geheimdienstapparat gelangten OSP-Informationen oder -Erfindungen wie durch ein Offenrohr direkt zum Präsidenten.

Insbesondere die CIA war aus Sicht des einflussreichen OSP eine Truppe von Ignoranten, die Verbindungen zwischen al-Qaida und Saddam Hussein herunterzuspielen suchten. "Die Linse, durch die man schaut, beeinflusst, wonach man sucht", erklärte Wolfowitz. Die Linse zeigte einen omnipotenten, hochgefährlichen Diktator. Die OSP-Truppe ließ sich mit Falschinformationen von Ahmed Tschalabi, dem damaligen Chef des Irakischen Nationalkongresses, versorgen.

Einige Geheimdienstler der CIA gingen in die innere Emigration oder quittierten den Dienst, die meisten machten mit. Insbesondere der damalige CIA-Chef George Tenet lieferte plötzlich dem Präsidenten die passenden Antworten nach OSP-Zuschnitt: Saddam verfügte angeblich über chemische und biologische Waffen. Er bastelte angeblich an einer Atombombe. Al-Qaida und Saddam arbeiteten angeblich zusammen. Nichts davon stimmte.

Auch begründete das oberste Gremium der Geheimdienste, die National Intelligence Estimate (NIE), die angebliche Bedrohung durch Saddam in einem ausführlichen Bericht. Aber auch die im wesentlichen falsche NIE-Analyse wurde noch einmal zugespitzt. Auch vom Präsidenten. So wiederholte Bush im September 2002 die Behauptung der Briten, der Irak sei in der Lage, binnen 45 Minuten chemische Waffen zum Einsatz zu bringen, obwohl sein eigener Geheimdienst der falschen britischen Quelle keinen Glauben geschenkt hatte. Auch tauchte die 45-Minuten-Lüge in dem NIE-Papier nicht auf.

Einen Monat später erklärte Bush, der Irak könne "jederzeit biologische und chemische Waffen an Terroristen geben". Auch das stand so nicht im Bericht. Am 5. Februar 2003 erklärte der damalige Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat, warum Saddam für die Welt hochgefährlich sei. Powells Beweisführung, die von den OSP-Leuten beeinflusst worden war, erwies sich als Feuerwerk der Desinformation, was den Ex-Außenminister heute sehr verbittert.

Dazu gehörte die Behauptung, Saddam verfüge über rollende Biowaffenlabore. Der Erfinder dieser Nachricht war eine Quelle des Bundesnachrichtendienstes (BND), aber der BND hatte 2002 den US-Partnerdiensten signalisiert, dass die Quelle höchst unzuverlässig sei. Hätte es aus heutiger Sicht Bushs ohne den BND keinen Irak-Krieg gegeben?

"Lüge heißt in Kenntnis der Wahrheit die Unwahrheit sagen", hat Franz Josef Strauß, der ein Meister im Erfinden von Geschichten war, den Umgang mit politischem Schwindel mal erklärt. Nach dieser Definition hat Bush möglicherweise nicht gelogen, denn er hat vermutlich den eigenen Schwindel mal geglaubt.

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SZ vom 03.12.2008/hai
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