Süddeutsche Zeitung

Machtkampf in Iran:Die ratlosen Erben Chomeinis

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Viele der Schwächen des jungen Staates Iran erinnern an die Weimarer Republik. Alle Seiten zeigen sich überfordert angesichts des Sturms, den die Präsidentenwahl losgetreten hat.

Farsin Banki

Es klingt wie im Märchen: Es war einmal ein Mann, der fürchtete sich vor keiner Macht, und sei sie ihm noch so überlegen. Also machte er sich auf den Weg, das Gruseln zu lernen. Und weil sich die Geschichte im Morgenland abspielt, legte er die große Waschung für den Märtyrertod ab, betete das Märtyrergebet und begann seine erste große Kundgebung mit jenem Spruch, den Muslime nur im Zusammenhang mit dem Tod benutzen: Wahrlich, wir sind von Gott, und zu Ihm kehren wir dereinst zurück.

Als er später, nach drei Tagen in unbeabsichtigter Abgeschiedenheit, vor seine in die Millionen gehende Anhängerschar trat, spürte er zum ersten Mal, auf was er sich eingelassen hatte. Hatte er da nun das Gruseln gelernt?

Es ist aber kein Märchen. Im Gegenteil, es ist die Wahrheit, dass sich jemand, der 20 Jahre lang nur seiner Tätigkeit als Rektor der Akademie der Künste nachging - dass dieser Jemand eine Berufung verspürte, das Land vor den skurrilen Akten eines Präsidenten zu retten, der von sich und seiner Mission überzeugt ist, je länger er im Amt ist, umso stärker. Er kämpfte tapfer darum, seine Stimme hörbar zu machen.

Viele Persönlichkeiten sprachen sich für ihn aus, der ehemalige Präsident Chatami zog sogar seine Kandidatur zu seinen Gunsten zurück, und selbst ein so mächtiger Mann wie dessen Vorgänger Rafsandschani (der heutige Vorsitzende des Expertenrats) unterstützte ihn. Dies brachte Mussawi immer mehr Anhänger ein, gleich, ob arm oder reich, ob gebildet oder nicht.

Zum ersten Mal in der Geschichte der jungen Republik hat der amtierende Präsident alle Macht ausnutzen können, die sich ein Amtsinhaber nur erträumen kann: Er griff in volle Kassen und verteilte, was er darin vorfand. Sein Glaube, ein Auserwählter des 12. Imam Mehdi, des Rechtgeleiteten und Rechtleitenden, zu sein, verleitete ihn dazu, nur die Ärmsten der Ärmsten zu sehen und sich im Kreise dieser "Verschmähten und Geächteten", vor allem auf dem Land, wohlzufühlen. Er zeigt bei jeder Gelegenheit, wie sehr er einer von ihnen geblieben ist.

Einzig viele in seiner nächsten Umgebung leiden unter seiner absoluten Bestimmtheit, die Dinge zu regeln, wie sie ihm richtig erscheinen. Einzig das Ausland kann mit seinem Vokabular nichts anfangen und stößt sich immer wieder an der undiplomatischen Weise, Themen anzuschneiden, ohne Rücksicht auf internationale Gepflogenheiten.

Die väterlich-weise Gewalt der Gelehrten

Die Islamische Republik Iran vereint in sich den Islam und die Republik: die Religion als Wertmaßstab einer muslimischen Gesellschaft und die Staatsform als demokratische Regierungsform. Während der islamische Grundpfeiler bis in die Intimsphäre alles zu regeln scheint, verlangt die Republik nach Dingen wie Verfassung, Wahlen, Parlament und demokratischen Spielregeln. Würde der Islam absolut gelten, hätten wir am Ende eine theonomische Staatsform, also eine, die sich vollständig der Scharia unterwürfe. Tatsächlich gibt es sogar Stimmen im Land, die darauf drängen, endlich diese Staatsform einzuführen.

Wäre hingegen der Staat allein als Republik verfasst, hätten wir einen vollkommen säkularen Staat. Die Form jedoch, die der Gründer der Islamischen Republik Iran, Imam Chomeini, als angemessen empfand, bedeutet eine Vereinigung dieser beiden Kräfte: die väterlich-weise, nur den islamischen Gesetzen verpflichtete Gewalt des (schiitischen) Rechtsgelehrten.

Damit das Ganze nicht in eine Diktatur des Rechtsgelehrten umschlägt, sind ihm genügend Kommissionen und Räte beigegeben, die über die Einhaltung der Machtbefugnisse wachen. Mir dünkt, dass es recht schwierig ist, nach mehr als 2500 Jahren diktatorischer Monarchie diese wunderbaren Mechanismen der Gewalten-Eindämmung auch richtig einzusetzen. Vieles erinnert an die organisatorischen und moralischen Schwächen, wie Deutschland sie aus der Weimarer Republik kennt.

Und nun spüren die Menschen zum ersten Mal in der Geschichte Irans, dass derjenige bestimmt, der stimmt. Wie anders könnten wir sonst die - auch für westliche Verhältnisse - hohe Stimmbeteiligung von mehr als 80 Prozent interpretieren? Die völlig überraschende, unbekannte Form der Fernsehdebatten der Kandidaten belebte das Interesse zusätzlich.

Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses spricht die Gegenseite von Betrug und Fälschung. Durch das Aufgebot ihrer Anhängerschaft möchte sie ihrem Wunsch nach Neuwahlen Nachdruck verleihen. Der gegenwärtige Präsident wischt jedoch deren Forderungen zur Seite und bezeichnet die "Verlierer" als "Gesindel", die nichts als "Staub aufgewirbelt" hätten. Leider gibt die Art und Weise, in der die Wahlen stattfanden, allen Anlass, das Ergebnis einem Zweifel zu unterziehen. Erstaunlich ist nur, dass sich der amtierende Präsident keiner erneuten Wahl stellen möchte, wenn er sich doch seiner Sache so sicher ist.

Was bleibt dem Ausland?

Beide Seiten sind überfordert: Weder hat Mussawi damit gerechnet, welche Folgen seine Kandidatur haben würde, noch hat der amtierende Präsident einen solch vehementen Widerstand vorausgesehen. Mussawi sieht sich der Tatsache gegenüber, dass er die Führung einer Bewegung angenommen hat, die - falls sie aus dem Ruder gerät - das Land in Schutt und Asche legen könnte. Zugleich erhöhen die Repressalien der Regierung das Risiko. Es zeigt sich erneut, dass eine soziale Bewegung eine Dynamik entwickelt, die deren Entwicklung unabsehbar werden lässt. Sollte Mussawi am Ende nicht nur das Gruseln gelernt haben, sondern auch die Geister, die er rief, nun nicht mehr loswerden?

Was bleibt dem Ausland? Der Präsident sieht in der Berichterstattung der ausländischen Presse eine absichtliche Verfälschung der Tatsachen. Die Amerikaner haben in ihrem Irak-Krieg die gesteuerte Berichterstattung entdeckt und eingeführt. Von den kommunistischen Systemen haben viele Völker gelernt, wie man mit unliebsamen Berichterstattern aus dem Westen umgeht. Aber weder die Appeasement-Politik östlicher Länder wie Russland oder China noch die engagierte Politik der westlichen Welt wird Iran aus der Krise führen.

Warum sollte es nicht möglich sein, einfach dokumentarisch zu berichten, nach der Devise Wait and see, und dabei das Recht der Völker zu achten, sich nicht in deren Angelegenheiten einzumischen? Eine abwartende Haltung zu den Geschehnissen im Land erhöht die Chance, dass das Volk seinen Weg aus dem selbstproduzierten Dilemma findet, ohne dass die Akteure gleich als vom Ausland gesteuerte Marionetten diffamiert werden könnten.

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SZ vom 19.06.2009/jab
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