Süddeutsche Zeitung

Lobbyismus:Drohen mit dem Untergang

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Wenn sie ihre Interessen durchsetzen wollen, ist der Einfallsreichtum der Atommanager groß.

Von M. Bauchmüller, V. Bernau

Es mag ein Zufall sein, die Sache mit der Dividende. An die Mehrheit seiner Aktionäre will RWE für das abgelaufene Geschäftsjahr kein Geld ausschütten. Zum ersten Mal seit fast 60 Jahren. Und zum großen Ärgernis vieler klammer Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die etwa ein Viertel der Unternehmensanteile halten und die Dividende in ihren Haushalten fest einkalkuliert haben. Als Grund führt der Konzern an, dass sich die Aussichten, mit den konventionellen Kraftwerken noch Geld zu verdienen, "zuletzt drastisch verschlechtert" hätten, "die aktuellen politischen Risiken" machten die Sache nicht leichter.

Die aktuellen Risiken aber sind seit Jahren bekannt. Auch deshalb wirkt die Ankündigung wie eine Drohgebärde. Insgesamt entgehen den Kommunen so 150 Millionen Euro. Deutschlands zweitgrößter Energiekonzern hat seinen Plan, die Dividende auszusetzen, zu einer Zeit bekannt gegeben, in der die Verhandlungen darüber, welche Verantwortung er für seine nuklearen Altlasten übernehmen soll, in die heiße Phase gehen. Etwas Druck kann da hilfreich sein.

Einfluss auf Regierende hat in der Stromwirtschaft Tradition. Seit jeher gilt eine verlässliche Stromversorgung als Garant für wirtschaftliche Entwicklung, von Anfang an war die Politik maßgeblich daran beteiligt. Die ersten Kraftwerke entstanden Ende des 19. Jahrhunderts in städtischer Regie, bis heute sind die Stadtwerke vieler Kommunen eng mit der Lokalpolitik verbunden. In den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts gründeten Bayern, Baden und Preußen eigene Gesellschaften zur flächendeckenden Stromerzeugung. Einige dieser Gesellschaften überlebten bis ans Ende des Jahrhunderts - ehe sie in Konzernen wie Eon, RWE oder EnBW aufgingen. Das Erbe der DDR-Stromwirtschaft wanderte zusammen mit den Stadtwerken Berlins und Hamburgs an den schwedischen Vattenfall-Konzern. Lange zehrten die großen Stromkonzerne vom Vorrat der gemeinsamen Vergangenheit mit der Politik. Nun scheint dieser Vorrat aufgebraucht.

Nichts illustriert das besser als die Kanzlerschaft Angela Merkels. Auch sie zeigte lange keine Berührungsängste im Umgang mit Strommanagern. Als sich ihre schwarz-gelbe Koalition 2010 anschickte, die Atom-Laufzeiten zu verlängern, ließ sie sich vom damaligen RWE-Chef Jürgen Großmann persönlich durch das AKW Emsland führen. Es regnete in Strömen, der RWE-Chef beschirmte die Kanzlerin. Es sollte eins der letzten vertrauten Bilder sein.

Politik und Stromwirtschaft waren lange Zeit freundschaftlich verbunden

Die Atomwende von Fukushima markierte dann eine schlagartige Abkühlung des Klimas zwischen Regierung und Stromkonzernen. Hatte sogar die rot-grüne Bundesregierung noch versucht, den Atomausstieg im Konsens mit den Betreibern zu organisieren, waren die Bosse diesmal nur noch Zaungäste. Auch deren Lobbyverbände klagen heute darüber, dass sie nicht mehr so zügig wie früher über Vorhaben der Bundesregierung informiert werden.

Stattdessen sehen sich Wirtschaft und Politik nun vor Gericht wieder: In 28 Klagen haben sich die Unternehmen gegen den Atomausstieg zur Wehr gesetzt, neun davon sind Verfassungsbeschwerden, die demnächst verhandelt werden sollen. Der Vattenfall-Konzern hat ein Schiedsgericht in Washington angerufen, er fordert vom Bund 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz. Das drückt die Stimmung. Nicht ohne Grund verlangen auch Teile der Atomkommission nun, dass die Konzerne ihre Klagen zurückziehen - zwecks "Befriedung".

An Einfallsreichtum mangelt es den Managern nicht, wenn es gilt, Druck zu machen. Als Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im vorigen Frühjahr eine "Klimaabgabe" plante, die vor allem alte Braunkohlekraftwerke von RWE getroffen hätte, beteiligte sich der Essener Konzern eifrig an einer Demo der Bergbau-Gewerkschaft IG BCE. Konzernchef Peter Terium marschierte vorneweg, 15 000 hinterher. Herangekarrt worden waren die Demonstranten nicht nur aus dem rheinischen Braunkohle-Revier, sondern sogar aus Tschechien - von der dortigen RWE-Tochter.

Nun also die Dividende. RWE-Kenner bezweifeln, dass die Mitteilung in der vergangenen Woche zufällig kam. "Das ist ein deutliches Signal an die Politiker: Seht her, wie schlecht es uns geht", sagt der Analyst Sven Diermeier von Independent Research. Dass der Konzern die Kommunen in die Überlegungen nicht eingebunden, sie mit der Mitteilung sogar düpiert hat, sei einkalkuliert: "Das sollte ein Weckruf sein." Je größer der Ärger in den Kommunen, desto größer der Drang, sich zu wehren - womöglich auch direkt in der Staatskanzlei in Düsseldorf. "Die Landesregierung wird nun den Druck in Berlin erhöhen", sagt Diermeier. Zumal RWE einen noch strengeren Sparkurs ankündigt, der womöglich Arbeitsplätze kostet. Ein Branchen-Insider sagt: "Früher hat der RWE-Konzern mit Investitionsstopps gedroht, heute droht er mit dem Untergang."

Im Ruhrgebiet könnte diese Strategie durchaus verfangen. "Wir werden den Vorschlag so nicht hinnehmen", droht Uwe Bonan. Dem Kämmerer von Mülheim an der Ruhr würden, wenn RWE ernst macht, auf einmal 7,2 Millionen Euro im städtischen Etat fehlen. Auch Ernst Gerlach, der im Verband der kommunalen Anteilseigner die Geschäfte führt, ärgert sich über das Vorgehen des Konzernvorstands. Das stärke nicht gerade das Vertrauen. "Wir prüfen, welche Möglichkeiten wir haben, das zu ändern", sagt er.

Auch der Finanzchef beim Energiekonzern Eon kündigte schon mal an, die Dividende auf den Prüfstand zu stellen - angesichts der vielen Probleme in der Branche.

Wohl kaum ein zufälliges Signal.

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SZ vom 23.02.2016
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