Süddeutsche Zeitung

Bosnien-Herzegowina:Hunderte Menschen kampieren bei Schneefall im Freien

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Nachdem vergangene Woche das bosnische Flüchtlingslager Lipa geräumt wurde, haben etwa 1300 Menschen keine Unterkunft mehr. Hilfsorganisationen sprechen vom "Moria vor unserer Haustür".

Hunderte Migranten kampieren trotz heftigen Schneefalls und eisiger Kälte in Bosnien-Herzegowina im Freien. Sie waren zuvor im Flüchtlingslager Lipa nahe der Stadt Bihac im Nordwesten des Landes untergebracht worden. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hatte allerdings vergangenen Mittwoch das Aufnahmelager geschlossen. Etwa 1300 Flüchtlinge standen auf der Straße, sagte Natasa Omerovic, die Koordinatorin des Lagers, dem Nachrichtenportal klix.ba.

Die IOM hatte die Schließung bereits zuvor angekündigt, weil das Lager nicht an das Stromnetz oder die Wasserversorgung angeschlossen war. Die obdachlos gewordenen Bewohner setzten daraufhin Zelte und Container in Brand, sagte der für die Internationale Organisation für Migration in Bosnien-Herzegowina zuständige Peter Van der Auweraert. Auf Bildern und Videos war zu sehen, wie dicke schwarze Rauchwolken über das Lager aufstiegen. Am Mittag twitterte er, zwar habe die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle gebracht. Aber fast die gesamte Infrastruktur in dem Lager sei zerstört oder beschädigt worden, es sei ein "fürchterlicher Tag". Niemand sei verletzt worden. Feuerwehren konnten den Brand Medienberichten zufolge löschen.

"Wie wir sehen, sind die Zelte in einer Kettenreaktion in Brand gesteckt worden, und ich denke, wir können von Vandalismus sprechen", wurde Omerovic zitiert. "Die Migranten sind aufgebracht und wütend und wir können hören, wie sie über den Staat fluchen."

Nach der Schließung des Lagers Lipa ist es den Behörden nicht gelungen, die Menschen woanders unterzubringen. Nun versuchen die Menschen sich mit Decken und Schlafsäcken vor dem eisigen Wind zu schützen. Viele tragen trotz des Winterwetters nur leichtes Schuhwerk. Das bosnische Rote Kreuz versorgt die Gestrandeten mit Wasser und Lebensmitten. Die Polizei versucht die Ordnung aufrecht zu erhalten. "Es ist Schnee gefallen, Temperaturen unter Null, keine Heizung nichts", twitterte Van der Auweraert am Samstag und sprach von einer humanitären Katastrophe. "So sollte niemand leben müssen." Es müsse etwas geschehen. "Selbst Tiere leben besser als wir", sagte Kasim aus Pakistan, der nicht seinen vollen Namen nennen wollte. "Wenn sie uns nicht helfen, werden wir sterben. Deshalb bitte helft uns."

Internationale Organisationen hatten die Zustände in dem Lager kritisiert

Das Lager Lipa liegt 25 Kilometer südöstlich von Bihac. Es war im September errichtet worden, nachdem die bosnischen Behörden die Schließung des Lagers Bira am Stadtrand von Bihac erreicht hatten. Die Migranten sollten damit aus dem Stadtbild der 60 000 Einwohner-Stadt im Nordwesten Bosniens verschwinden. Nun regt sich Protest unter den Anwohnern gegen Pläne, das geschlossenes Lager im Zentrum von Bihac für die Migranten vorübergehend wieder zu öffnen.

Internationale Organisationen und Helfer hatten bereits in der Vergangenheit die Zustände in dem Lager kritisiert. Die österreichische Organisation SOS Balkanroute bezeichnete es als das "Moria vor unserer Haustür", in Anspielung auf das Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos, das im September abbrannte. Auch die EU kritisierte die Situation der Migranten in Bosnien. Tausende Menschen in dem Balkanstaat stünden von einem Winter ohne Unterkunft, erklärten die EU-Kommissariate für Äußeres, Migration und Erweiterung am Montag. "Die Lage von Migranten in Bosnien und Herzegowina ist alarmierend", kritisierten sie. "Mehr als 3300 Flüchtlinge und Migranten werden sich in dem Land ohne Zugang zu einfachen Unterkünften und Grundversorgung wiederfinden, weil die Schließung einer Einrichtung in Lipa unmittelbar bevorsteht." Die EU drängte die Regierungen der Landesteile Bosnien-Herzegowinas, ihre Streitigkeiten hintenanzustellen, damit nicht Tausende Menschen bei Winterwetter ohne Obdach sind.

Bosnien ist ein Nadelöhr für Tausende Migranten geworden, die nach West Europa weiterziehen und zunächst einmal das EU-Land Kroatien erreichen wollen. Durch Bosnien verläuft ein Ableger der sogenannten Balkanroute, über die Flüchtlinge und Migranten aus der Türkei nach Westeuropa zu gelangen versuchen. Während die meisten in der Krajina im Nordwesten festsitzen, weigern sich andere Landesteile, überhaupt Migranten aufzunehmen. Viele Migranten klagen, sie seien auf oft illegalen Routen über die Grenze in den Bergen Opfer von Gewalt geworden und die kroatische Polizei habe sie zurückgetrieben.

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