Süddeutsche Zeitung

Libyen:Gaddafis Machtzirkel vor Gericht

Lesezeit: 2 min

In Libyen müssen sich wichtige Funktionäre der Gaddafi-Regierung vor Gericht verantworten - unter ihnen der Gaddafi-Sohn Saif al-Islam. Damit beginnt die eigentliche juristische Aufarbeitung des Bürgerkriegs. Was bedeuten die Prozesse für das Land? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Isabel Pfaff

Es sind die Verbliebenen des Gaddafi-Regimes: 38 Unterstützer und Vertraute des getöteten Diktators Muammar al-Gaddafi stehen jetzt vor Gericht. Unter ihnen die beiden wichtigsten Regime-Figuren, die den Sturz Gaddafis überlebt haben: sein zweitältester Sohn Saif al-Islam al-Gaddafi und der Ex-Geheimdienstchef und Gaddafi-Vertraute Abdallah al-Senussi.

Am Mittwoch begannen in Tripolis ihre Verfahren - allerdings ohne Saif al-Islam. Der 41-jährige sitzt nämlich nicht in der Hauptstadt, sondern im westlibyschen Sintan im Gefängnis. Die dortigen Milizen haben ihn der Justiz in Tripolis bisher nicht übergeben, denn dort läuft ein separater Prozess gegen ihn.

Süddeutsche.de beantwortet die wichtigsten Fragen zu der verworrenen Situation und der Lage im Land.

  • Um was geht es in den Prozessen?

Bei den nun beginnenden Verfahren handelt es sich um Vorverhandlungen zu den eigentlichen Prozessen. Dabei entscheiden die Richter über die Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft: Sie können die Anklage abweisen, eine neue Untersuchung des Falles anordnen oder die Anklage annehmen. Im Fall der Annahme werden sie den Fall an das zuständige Gericht verweisen, wo es dann schließlich zum Prozess kommt.

Die Anschuldigungen gegenüber den 38 Inhaftierten, zu denen neben Gaddafi und Senussi auch der ehemalige Regierungschef Baghdadi al-Mahmudi gehört, beziehen sich auf Verbrechen aus dem Bürgerkriegsjahr 2011. Unter anderem geht es um Mord, Folter, Vergewaltigungen und die Bildung bewaffneter Gruppen. Bei einer Verurteilung hätten einige dieser Anklagepunkte die Todesstrafe zur Folge.

  • Warum sind die Prozesse wichtig?

Nur ein hochrangiger Funktionär Gaddafis ist bisher angeklagt und verurteilt worden: Ahmad Ibrahim, ehemaliger Bildungsminister, erhielt Ende Juli die Todesstrafe. Die aktuellen Prozesse markieren deshalb einen wichtigen Schritt in der juristischen Aufarbeitung des libyschen Bürgerkriegs.

Die neue libysche Regierung legt großen Wert darauf, den inhaftierten Gaddafi-Anhängern im Inland den Prozess zu machen. Dafür nimmt sie sogar einen Konflikt mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Kauf, der Gaddafi und Senussi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagen will. Das Weltstrafgericht hat Libyen mehrmals aufgefordert, Gaddafi auszuliefern - ohne Erfolg. Die Richter in Den Haag halten einen fairen Prozess für Gaddafi in dessen Heimat derzeit für unmöglich. Libyen steht deshalb unter großem Druck und muss zeigen, dass es sich bei den Prozessen nicht um Racheakte an Gaddafi-Unterstützern handelt.

  • Was sagen die Gerichtsverhandlungen über die aktuelle Lage in Libyen?

Dass der wichtigste Angeklagte nicht vor der Anklagekammer in Tripolis erscheinen kann, macht deutlich, wie schwierig die Situation in Libyen weiterhin ist. Noch immer kontrollieren Milizengruppen Teile des Landes, der neuen Regierung mangelt es an Durchsetzungskraft. Alle Versuche, den Gaddafi-Sohn von Sintan nach Tripolis zu bringen, waren erfolglos.

Die Sicherheitslage in Libyen ist auch ein Jahr nach Antritt der neuen Regierung kritisch. Anschläge, Entführungen und gewaltsame Proteste legen Politik und Wirtschaft lahm. Menschenrechtsbeobachter sprechen von "einem Klima der Gesetzlosigkeit". Anwälte, Richter und Staatsanwälte würden eingeschüchtert und bedroht, so dass eine faire rechtliche Aufklärung der Bürgerkriegsverbrechen derzeit nicht möglich sei.

  • Welche Ergebnisse sind zu erwarten?

Sowohl Menschenrechtsgruppen als auch der Internationale Strafgerichtshof bezweifeln öffentlich, dass Gaddafi und Senussi einen fairen Prozess bekommen werden. Beiden wird offenbar seit Beginn ihrer Haft der Kontakt zu ihren Anwälten verweigert.

Schon mehrfach hat die Justiz unter der neuen libyschen Regierung Todesstrafen verhängt. Diese droht auch Gaddafi und Senussi, wenn die Richter der Anklage stattgeben und sie verurteilt werden.

  • Wie geht es weiter?

Ob Libyen die Prozesse gegen die prominenten Gaddafi-Unterstützer fortsetzen kann, ist offen. Denn mit der Weigerung, den Gaddafi-Sohn an Den Haag auszuliefern, bricht das Land internationales Recht. Eigentlich ist die Regierung verpflichtet, mit dem Internationalen Strafgerichtshof zu kooperieren, da dieser für die Strafverfolgung in Libyen ein Mandat des UN-Sicherheitsrates besitzt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1775205
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.