Süddeutsche Zeitung

Libyen:Durchbruch in Tunis

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Die libyschen Kriegsparteien verhandeln im Nachbarland über eine politische Lösung des Konflikts - und einigen sich auf einen Fahrplan für Wahlen.

Von Paul-Anton Krüger, München

Eine blanke Zahl ist es, die vielen Libyern Hoffnung macht: 1,1 Millionen Barrel Öl fördert das vom Bürgerkrieg zerrissene nordafrikanische Land inzwischen wieder, fast so viel wie zu der Zeit, bevor Verbündete des abtrünnigen Kriegsherrn Khalifa Haftar im Januar im Streit mit der international anerkannten Übergangsregierung in Tripolis die Ölfelder und die Verladeterminals am Mittelmeer blockierten. Wenn die Petro-Dollars wieder fließen, so hoffen die Menschen, wird es wieder Strom, Wasser und andere lebenswichtige Güter geben, sich die in der Corona-Pandemie kollabierte medizinische Versorgung verbessern.

Der vor drei Wochen ausgehandelte Waffenstillstand hält. Es gibt wieder Flüge zwischen den Regionen des seit 2014 geteilten Landes. Vertreter der Einheitsregierung in Tripolis und der im Osten dominierenden Libyschen Nationalarmee Haftars mit Sitz in Bengasi verhandeln in Sirte. Es ist jene sogenannte 5+5-Militärkommission, die auf der Berliner Libyen-Konferenz im Januar aus der Taufe gehoben worden war und in Genf den Waffenstillstand besiegelt hatte.

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Diese positiven Entwicklungen sollen nun den innerlibyschen Friedensgesprächen Schwung verleihen, die am Montag in Tunis unter Vermittlung der Vereinten Nationen begonnen haben. "Sie haben die Gelegenheit, einen tragischen Konflikt zu beenden", redete UN-Generalsekretär António Guterres den 75 Delegierten ins Gewissen. Die amtierende UN-Sondergesandte Stephanie Turco Williams, die den Waffenstillstand vermittelt hatte, forderte von ihnen, "um des Landes willen bereit zu Zugeständnissen zu sein".

Bei den Gesprächen über die Zukunft des Landes wurde nach UN-Angaben am Mittwoch ein wichtiger Durchbruch erzielt. Die Teilnehmer in Tunis hätten sich auf Wahlen innerhalb der kommenden 18 Monate verständigt, kündigte die amtierende Libyen-Beauftragte Stephanie Williams an. Zudem habe man sich auf einen Fahrplan verständigt, um die Institutionen des Landes zusammenzuführen.

Allerdings liegt der Knackpunkt in der Verteilung von Macht und Ressourcen - das ist beim Öl nicht anders. Zwar wird auf den Feldern von Sharara wieder gepumpt, doch das Geld fließt auf ein Sperrkonto außerhalb Libyens. Wer wie viel von den Einnahmen erhält, darüber gibt es weiter keine Einigung, obwohl dieser Streit Auslöser der Blockade war. Letztlich haben in den vergangenen Jahren in Libyen immer wieder bewaffnete Gruppen versucht, solche Streitigkeiten mit Gewalt zu ihren Gunsten zu wenden.

Die Differenzen sind weniger ideologischer Art - Milizen und Warlords müssten vielmehr auf Macht verzichten

Für eine politische Einigung müssten nun Akteure wie Haftar oder die Anführer der Milizen im Westen, die Libyen militärisch unter Kontrolle haben, auf Macht verzichten - und damit auf den Zugriff auf Ressourcen. Im libyschen Bürgerkrieg stehen nicht unüberwindliche ideologische Gegensätze einer Einigung entgegen, wie es etwa Haftar mit seinem vorgeblichen Kampf gegen Islamisten glauben macht. Vielmehr wollen sich die konkurrierenden Milizen auf allen Seiten Geld und Posten des aufgeblähten Staatsapparats als Pfründe nicht nehmen lassen. Auch andere Geschäftsfelder der Kriegsökonomie, wie der Schmuggel, würden unter einer legitimen und handlungsfähigen Regierung wegfallen, vor allem, wenn diese wie angestrebt das Gewaltmonopol auf sich vereint.

"Es wird natürlich Verlierer geben", sagen westliche Diplomaten schon mit Blick auf die angestrebte Verkleinerung des Präsidialrates von neun auf drei Mitglieder, einem aus jedem der drei Landesteile. Auch die externen Akteure, auf Seiten der Regierung in Tripolis die Türkei und Katar, auf Seiten Haftars Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland, würden Einfluss einbüßen, nachdem sie in der Schlacht um Tripolis zu den entscheidenden Kräften geworden waren. Als im April 2019 schon einmal eine Friedenskonferenz in Ghadames kurz vor einer Einigung stand, startete Haftar eine Militär-Offensive zur Eroberung von Tripolis.

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