Süddeutsche Zeitung

Deutsch-österreichische Beziehungen:"Wir setzen hier die Schwerpunkte unterschiedlich"

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Von Daniel Brössler, Berlin

Es gibt da diesen einen Moment, der nicht alles, aber eine Menge verrät. Die Bundeskanzlerin und ihr Gast sind nach den schwierigen Verhandlungen zum EU-Haushalt gefragt worden. Da sei die Zustimmung jedes einzelnen Mitgliedslandes nötig, erklärt Angela Merkel, und dass man mit "null Komma null Kompromissbereitschaft" nicht weiterkomme. Sebastian Kurz, der sich der Kanzlerin, wann immer sie spricht, kerzengerade und ganz Ohr zuwendet, beginnt seine Antwort mit einer Art Stoßseufzer: "Bei dem Thema sitzen Deutschland und Österreich wirklich in einem Boot. Wir sind beide Nettozahler", verkündet der österreichische Bundeskanzler. "Wirklich." Das hallt nun nach im Foyer des Bundeskanzleramtes, wo eben ja noch von "guter Zusammenarbeit" und "gutem Gespräch" die Rede war. "Wirklich" - das klingt nach: Hier stimmt's ausnahmsweise mal, hier sind wir einer Meinung.

Kurz weilt zum Antrittsbesuch in Berlin, was insofern ein wenig irreführend ist, als man einander ja von früher her kennt. Nicht fürchterlich lang, aber doch so, dass beide, die Kanzlerin und der Kanzler, wohl sagen würden: ausreichend. Während der Pressekonferenz im Berliner Kanzleramt ist jedenfalls klar, dass es eine Vorgeschichte gibt. Sie begann 2015, im Jahr der Flüchtlingskrise, als ein junger österreichischer Außenminister sich anschickte, die deutsche Kanzlerin in Europa herauszufordern mit seinem Plädoyer für geschlossene Grenzen. Als Kurz dann vor zwei Jahren Merkel seinen ersten Antrittsbesuch abstattete, damals noch als Kanzler einer Koalition mit den rechtspopulistischen Freiheitlichen, hakte er das Thema auf seine Weise ab: "Vieles, für das ich vor einigen Jahren kritisiert wurde", sagte er damals, "ist heute mehrheitsfähig."

Insofern ist das eigentlich schon eine Vorvorgeschichte. Die Vorgeschichte besteht eher aus einem Interview, das der Österreicher sich selbst zum zweiten Antrittsbesuch gewissermaßen vorausgeschickt hat. Auf diesem Wege tat er nicht nur kund, "alles tun zu wollen", um die von Deutschland und Frankreich betriebene Einführung einer Finanztransaktionssteuer zu verhindern. Die Wiederbelebung der EU-Mission Sophia vor der Küste Libyens, ebenfalls ein Anliegen der deutschen Regierung, verwarf er im Interview mit der Welt gar als "durchschaubaren Trick", um nun "unter dem Deckmantel einer Kontrolle des UN-Waffenembargos" die von Österreich als Migrationsanreiz abgelehnte Rettungsmission neu zu starten. Er "sage klar: Das wird es nicht geben".

Es ist ungefähr das, was Merkel meint, als sie feststellt, in der Migrationspolitik gebe es Gemeinsamkeiten, aber auch "Unterschiede". Für die Kanzlerin ist dieser Unterschied insofern kein kleiner, als sich nach ihrer Libyen-Konferenz nun langsam zeigen müsste, wie das UN-Waffenembargo endlich durchgesetzt werden soll. Warum sich nun ausgerechnet Österreich querstellt, immerhin kein Mittelmeer-Anrainer und keine Seestreitmacht, erläutert Kurz dann recht ungerührt. Österreich sei, das stimme, "kein Land, das Küstengebiete hat", wohl aber eines, das wie Deutschland "ein Ziel der Migranten" sei. Rettungsmissionen wie Sophia würden nur noch mehr Migration anlocken, den Schleppern mehr Gewinne bescheren und so letztlich mehr Menschenleben kosten.

Ein Wink mit dem Zaunpfahl

Merkel hat das schon gehört von Kurz, mehr als einmal. Ebenfalls oft genug ist ihr, gelegentlich auch aus den eigenen Reihen, Kurz als leuchtendes Beispiel entgegengehalten worden - als der Kanzler, der Sicherheit großschreibt und die Migration effektiv einzudämmen versteht. Als sie im Juni 2018 im Kanzleramt einen Integrationsgipfel veranstaltete und ihr CSU-Minister Horst Seehofer zeitgleich im Innenministerium den jungen Kanzler aus Wien empfing, da galt das - zu Recht oder zu Unrecht - als Wink mit dem Zaunpfahl.

Für Merkel ist nun jedenfalls der Augenblick gekommen, sich ihrerseits ihrem Gast zuzuwenden. Sie wolle, greift sie sich noch mal das Wort, "vielleicht zur Mission Sophia nur sagen", dass sie das anders sehe. Es sei ja nicht so, dass es keine Seenotrettung gebe, allerdings eben durch private Schiffe. Besser sei es doch, staatlicherseits mit der libyschen Küstenwache zusammenzuarbeiten. "Wir setzen hier die Schwerpunkte unterschiedlich. Das muss man einfach so sagen", beendet Merkel das Thema. Die beiden sind da fast, aber eben noch nicht ganz, fertig miteinander.

In seinem Interview hatte sich Kurz, wie er es nun formuliert, "verleiten lassen", ein bisschen über Koalitionen zu spekulieren, und zwar nicht in Österreich, sondern in Deutschland. Seine Regierung aus Konservativen und Grünen könne "selbstverständlich" auch ein Modell für Deutschland sein, hatte er gesagt. Er "erwarte sogar, dass die nächste Regierung in Deutschland eine schwarz-grüne sein dürfte". Noch sei der Ausgang der nächsten Bundestagswahl ja ungewiss, bemerkt dazu die Kanzlerin etwas genervt. Da werde noch "viel Wasser die Spree oder die Havel" herunterfließen. Oder, hat Kurz dann doch noch das letzte Wort, "die Donau".

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SZ vom 04.02.2020
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