Süddeutsche Zeitung

Kompetenzen:Was darf das Staatsoberhaupt?

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Die österreichische Verfassung gibt dem Präsidenten weitreichende Befugnisse.

Von Cathrin Kahlweit

"Sie werden sich noch wundern, was alles gehen wird" - das war wohl der am häufigsten zitierte Satz des Wahlkampfes um das Amt des Bundespräsidenten. Norbert Hofer hat ihn gesagt, oder besser: Er war ihm herausgerutscht, und wahrscheinlich hätte er ihn gern zurückgeholt. Aber gesagt ist gesagt, und der Satz steht als Drohung im Raum. Denn beide Kandidaten, FPÖ-Mann Hofer wie auch der Grüne Alexander Van der Bellen, haben im Lauf der vergangenen Monate deutlich gemacht, dass sie das Amt nicht als freundlicher Grüßonkel ausüben wollen, der Staatsgäste empfängt, Gesetze unterzeichnet und ab und zu eine wegweisende Rede hält.

Die österreichische Verfassung nämlich, im Jahr 1920 nach dem Untergang des Habsburger Reiches neu entworfen, sah einen auf Repräsentationsaufgaben beschränkten Bundespräsidenten vor. Aber die politischen Wirren, die sich nicht nur in der ausgehenden Weimarer Republik, sondern auch in Österreich in der Sehnsucht nach einer autoritären Führung niederschlugen, trugen zu einer Novellierung des Bundespräsidenten-Gesetzes bei; dieser erhielt nun weit mehr Kompetenzen. Vorbild war, wie der Staatsrechtler Manfried Welan sagt, ein "Volkstribun", der die parlamentarische Scheindemokratie einhegen sollte. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte die demokratische Verfassung von 1920 zwar mit Leben erfüllt werden, doch die Kompetenzen des Staatspräsidenten wurden nicht beschnitten.

Der Präsident kann sogar Neuwahlen herbeiführen, wenn er mit dem Kanzler einig ist

Allerdings benahmen sich alle ersten Männer im Staate bislang - entsprechend eines ungeschriebenen Komments - wie Staatsnotare. Bis auf Thomas Klestil nach der Nationalratswahl im Jahr 1999: Der beauftragte, traditionsgemäß, die stärkste Partei, die SPÖ, mit der Regierungsbildung, aber FPÖ und ÖVP verabredeten sich für eine Koalition, die Klestil nur unter Protest und nach Erzwingung einer pro-europäischen Präambel in der Koalitionsvereinbarung vereidigte. Die schwarz-blaue Regierung von 2000 bis 2006 schrieb dann eher unrühmliche Geschichte.

Alexander Van der Bellen dachte wohl an Klestil, als er ankündigte, er werde einen anti-europäischen Kanzler (damit meinte er FPÖ-Chef Heinz -Christian Strache) nicht vereidigen beziehungsweise eine anti-europäische Partei, also die FPÖ, auch im Falle eines Wahlsieges nicht mit der Regierungsbildung beauftragen; nach dem Gesetz muss er das nicht.

Hofer geht indes weiter. Ein Bundespräsident kann nach österreichischem Recht die Regierung entlassen und einen Kanzler bestellen. Der könnte sich dann ein Kabinett nach seiner Wahl zusammenstellen und eine Auflösung des Nationalrats provozieren. Der Präsident könnte also mittelbar Neuwahlen herbeiführen, wenn er mit einem Bundeskanzler seiner Wahl gemeinsame Sache macht. Hofer hatte zuletzt angekündigt - und das wiederholte er auch bis zu seinem letzten Wahlkampfauftritt am vergangenem Freitag -, dass er die Regierung feuern werde, wenn sie die Steuern- und Abgabenlast erhöhe, widerrechtlich die Landesgrenzen für Flüchtlinge öffne (wie im vergangenen Herbst geschehen) und insgesamt so handele, dass es dem Land schlechter gehe. Kritiker sprechen deshalb für diesen Fall von der Gefahr eines Staatsputsches oder einer Staatskrise.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2016
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