Süddeutsche Zeitung

Kommunisten in Deutschland:Erdoğans langer Arm

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Sie stehen in München vor Gericht, weil ihre Organisation in der Türkei verfolgt wird. Nun hoffen türkische Kommunisten auf die Bundesregierung. Ist ein Prozess gegen sie noch zu rechtfertigen?

Von Annette Ramelsberger, München

Viele Menschen in Deutschland beunruhigt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit seinen immer neuen Schlägen gegen Demokratie und Bürgerrechte - bei einigen wenigen aber keimt Hoffnung. Und das nicht etwa deswegen, weil sie Anhänger von Erdoğan wären, sondern das genaue Gegenteil. Es geht um die zehn Angeklagten im Münchner Kommunisten-Prozess, denen seit dem Juni 2016 vor dem Oberlandesgericht der Prozess gemacht wird. Die linksextreme Gruppe TKP/ML ist in der Türkei immer wieder mit Terroranschlägen gegen die Armee und die Regierung vorgegangen. Ihre in Deutschland lebenden Anhänger sind wegen Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Erdoğans Vorgehen macht ihnen nun Hoffnung auf ein Ende ihres Prozesses in Deutschland.

Das Besondere an dem Prozess gegen die türkischen Kommunisten: Er kann nur stattfinden, weil die Bundesregierung eine so genannte Ermittlungsermächtigung gegen die TKP/ML an den Generalbundesanwalt gegeben hat. Nicht jede Widerstandsgruppe, die irgendwo auf der Welt gewaltsam gegen die Regierung ihres Landes vorgeht, wird in Deutschland auch verfolgt. Es ist eine politische Entscheidung, ob eine Gruppierung hier so relevant ist, dass sie mit juristischen Mitteln verfolgt wird, obwohl sich ihre Anhänger in Deutschland nichts haben zu Schulden kommen lassen. Die TKP/ML ist in Deutschland nicht verboten und steht auch nicht auf internationalen Terrorlisten. Allein die Türkei deklariert sie als terroristische Organisation.

Die Hoffnung der Angeklagten ist nun, deutsche Regierungsstellen mögen zu dem Ergebnis kommen, Erdoğan habe es so weit getrieben, dass es politisch nicht mehr zu rechtfertigen sei, seinen Gegnern in Deutschland den Prozess zu machen. Die Angeklagten, darunter eine Ärztin aus Nürnberg, sind nie gewaltsam aktiv geworden. Ihnen wird nur vorgeworfen, als Mitglieder des Auslandskomitees der TKP/ML Geld gesammelt und Versammlungen organisiert zu haben. Die Organisation in der Türkei ist für mehrere tödliche Anschläge in den vergangenen zehn Jahren verantwortlich.

Türkische Oppositionelle sollen in Deutschland nicht verfolgt werden, sagte der Anwalt

Die Verteidiger der zehn Angeklagten haben umfangreiche Anträge an das Bundesjustizministerium gesandt und darum gebeten, die Verfolgungsermächtigung gegen die TKP/ML zurückzunehmen. "Die weitere Zuspitzung der Entwicklung in der Türkei zwingt dazu, die Verfolgung von türkischen und kurdischen Oppositionellen in der Bundesrepublik Deutschland einzustellen", erklärt Peer Stolle, der die Nürnberger Ärztin vertritt. Am Freitag stellten die Verteidiger vor Gericht den Antrag, das Verfahren auszusetzen, bis das Justizministerium über den Antrag entschieden hat. Sie verweisen darauf, dass auch Justizminister Heiko Mass das Vorgehen Erdoğans öffentlich kritisiert hatte.

Sollte das Ministerium die Ermittlungsermächtigung widerrufen, wäre der Prozess geplatzt. Es gäbe dann keine rechtliche Grundlage mehr für eine Verfolgung. Vor Gericht stehen Angeklagte aus ganz Europa.

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Quelle:
SZ vom 11.03.2017
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