Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl:Wie ein Dorf im Odenwald zur "seltsamsten Gemeinde" Hessens wurde

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Fast alle Bewohner von Sensbachtal sollen bei der hessischen Kommunalwahl ungültige Stimmen abgegeben haben. Was ist passiert? Anruf beim Bürgermeister.

Interview von Susanne Höll, Frankfurt

Sensbachtal ist ein Dorf im Odenwald, nicht einmal tausend Menschen leben dort, man kann wunderbar wandern, es gibt keine Industrie. Es fehlt aber an Arbeitsplätzen, die jungen Leute gehen fort. Parteienstreit gibt es dort nicht: Bei politischen Abstimmungen haben die Bürger keine wirkliche Wahl. Bei Kommunalwahlen tritt seit Jahren nur eine gemeinsame Freie-Wähler-Liste an, die der GFW/ÜWS. Nach der Gemeindewahl am Sonntag sorgte Sensbachtal auch über Hessen hinaus für Schlagzeilen. 100 Prozent der gültigen Wählerstimmen gingen an die Einheitsliste - allerdings hätten fast alle ungültige Wahlzettel abgegeben. Ein Gespräch mit dem parteilosen Bürgermeister Egon Scheuermann über seinen ungewöhnlichen Heimatort.

SZ: Was ist eigentlich bei Ihnen los? Mehr als 90 Prozent der Wähler im Dorf sollen bei der Gemeinderatswahl ungültige Stimmzettel abgegeben haben. Sind die Leute begriffsstutzig oder unzufrieden?

Egon Scheuermann: Glücklicherweise weder das eine noch das andere. Es handelt sich schlicht um einen Eingabefehler. Eine Zahl ist in die falsche Spalte gerutscht. Wir hatten 527 abgegebene Stimmen, bei 813 Wahlberechtigten. 42 Stimmen waren ungültig. Das ist die Wahrheit. Nun hat sich Sensbachtal auch überregional den Ruf der seltsamsten Gemeinde Hessens eingehandelt. Keine Sorge, das wird bald korrigiert. Aber mich hat es schon gewundert, dass die Journalisten nicht mal nachfragen, was es mit so einer Geschichte auf sich hat. Und ich finde, von dieser Wahl gäbe es wichtigere Dinge zu berichten.

Wann haben Sie den Fehler bemerkt?

Am Montagnachmittag kam der erste Anruf. Ich war verblüfft. Dann stand das Telefon nicht mehr still. Unsere Wahlhelfer waren ganz verstört. Ich hatte noch versucht, das Statistische Landesamt telefonisch zu erreichen, um den Fehler zu korrigieren. Das hat aber nicht geklappt. Nun aber werden die korrekten Ergebnisse publiziert.

Was wäre eigentlich gewesen, wenn es tatsächlich in Sensbachtal so viele ungültige Stimmen gegeben hätte?

Dann hätte ich mir überlegt, ob ich überhaupt noch Bürgermeister sein kann und will. Das Interesse an der Kommunalpolitik ist nicht übergroß. Es wird immer schwieriger, Kandidaten für unsere Liste zu finden. Wir haben elf Mandate zu vergeben, konnten aber nur acht Bewerber finden. Wenn die Bürger deren ehrenamtliches Engagement nicht respektieren würden, hätte ich selbst keine Lust mehr auf Politik.

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Quelle:
SZ vom 09.03.2016
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