Süddeutsche Zeitung

Koalitionen:Grünschwarzrotgelb

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Lagerübergreifende Bündnisse zwischen Parteien werden immer häufiger. Aber eine Regierung aus vier Parteien würde dem demokratischen Wettstreit schaden. An deren Stelle bietet sich eine weit weniger riskante Option an: das Minderheitskabinett.

Von Detlef Esslinger

Demoskopen müssen auch Verkäufer sein - weshalb man die Umfragen nicht wörtlich nehmen muss, die sie derzeit auf den Markt bringen. Manche Institute weisen nun die AfD als stärkste Kraft in Brandenburg und Sachsen aus. Aber noch ist der Vorsprung so knapp, dass es angesichts der Fehlermargen durchaus möglich ist, dass sie am Ende doch nur Zweiter oder Vierter wird. Was man indes sagen kann: 30 Jahre, nachdem sie die Leninisten gestürzt haben, wollen immer mehr Ostdeutsche nun Rechtsextremisten ihr Land anvertrauen. Und Regierungen können immer seltener von nur zwei Parteien gebildet werden; im Herbst in Sachsen reicht es womöglich nicht einmal mehr für drei Parteien gemeinsam zur Mehrheit. Was bedeutet dies für die Praxis des Koalierens? Und für die Demokratie?

Indem Wähler den Volksparteien immer weniger Zuspruch geben, den Grünen und der AfD jedoch immer mehr, haben sie bereits die Muster der Regierungsbildung verändert. Eingeübte Koalitionen aus einem politischen Lager, wie zwischen CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen, sind die Ausnahme geworden. Lagerübergreifende Koalitionen, wie zwischen CDU und Grünen in Hessen, werden fast normal, manchmal auch unter Umkehrung der traditionellen Stärkeverhältnisse; siehe Grün-Schwarz in Baden-Württemberg. Immer öfter auch kommen sie nur zustande, indem noch ein Dritter dabei ist (wie in Rheinland-Pfalz, wo SPD, FDP und Grüne regieren).

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, was es jeweils zum Funktionieren braucht: eine sehr frühe Identifizierung von Gemeinsamkeiten; wechselseitigen Großmut, damit jeder Partner zu seinen Erfolgen kommt, egal, welchen Stimmenanteil einer einbringt; eine Führungsfigur, die in der eigenen Partei unumstritten ist und zugleich das Vertrauen der anderen hat. Zudem sollte jede Partei tunlichst mit sich im Reinen sein. Ist dies nicht der Fall, wie bei der SPD im Bund oder bei der CDU in Stuttgart, wird es freudlos; zumindest für diese Partei.

Doch die neuen Kräfteverhältnisse werfen nicht nur solch praktische Fragen auf, sondern auch grundsätzliche. Dem demokratischen Wettstreit bekäme es überhaupt nicht, falls CDU, Grüne, SPD und FDP etwa in Sachsen tatsächlich nach einer Schnittmenge fahnden und für all ihre ja bleibenden Differenzen den Kammerton pflegen müssten; denn wer sich morgens öffentlich angiftete, würde mittags nur schwer zurück zur Kooperation finden. Sollten sie aber vor Streit zurückschrecken, würden sie scheinbar den Vorwurf des "Altparteienkartells" bestätigen, auch wenn der nie etwas anderes als Diffamierung war. Und könnte genau dies wiederum die AfD stabilisieren, oder noch weiter stärken? Ganz abgesehen davon, welch schaurige Vorstellung es wäre, bestünde die im Parlament sichtbare Alternative zur Regierung vor allem noch aus Populisten und Extremisten.

Es gibt eine Regierungsform, mit der man in der Bundesrepublik nur wenig Erfahrungen hat: Minderheitskabinette. Instabilität scheint darin eingebaut zu sein, kaum jemand hält sie für praktikabel. Doch der Moment könnte kommen, in dem man sie - zunächst in einem Land, nicht im Bund - trotzdem wieder erwägt: als diejenige Notlösung, die noch die am wenigsten riskante ist.

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SZ vom 15.06.2019
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