Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:An der Kante

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Mehrere Tausend Menschen - darunter viele Schüler der Bewegung Fridays for Future - protestieren gegen den Braunkohle-Tagebau Garzweiler. Dabei kommen manche Aktivisten in Konflikt mit der Polizei.

Von Nadja Schlüter und Benedikt Müller, Keyenberg

"Ein Wasserwerfer, wenn Kinder dabei sind, muss das sein?", fragt eine Demonstrantin. Kurz zuvor hat die Polizei eine Weggabelung abgesperrt, an der ein Protestzug der Schüler-Bewegung Fridays for Future und den Klima-Aktivisten des Bündnisses Ende Gelände vorbeizieht.

Der Protest im rheinischen Braunkohlerevier ist an diesem Samstagvormittag bunt und friedlich, doch das Ziel der Ende-Gelände-Aktivisten ist von Anfang an klar: Sie bereiten sich darauf vor, den Tagebau zu stürmen. "Unser Ziel ist Garzweiler", sagt eine Sprecherin der Gruppe. Und so kommt es wenig später auch. Als der Marschweg direkt an der Kante des Tagebaus entlangführt, nutzen erste Demonstranten die Gelegenheit, auf das Bergwerksgelände vorzudringen. Ein Ordner läuft an der Kante entlang. "Leute von Fridays for Future, schließt euch wieder dem Demozug an, wir gehen weiter", ruft er. Das war von Anfang an die Ansage von Ende Gelände: Niemand sollte sich ohne Vorbereitung ihren Aktionen anschließen. Das Eindringen in den Tagebau kann lebensgefährlich sein, der Hang ist hier extrem steil und rutschig. Zudem hatte es bei Aktionen in der Vergangenheit immer wieder Konflikte mit der Polizei gegeben, die teils auch Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzte, wenn die Aktivisten versuchten, die Absperrung zu durchbrechen. Die meisten Demonstranten ziehen weiter zu der von Fridays for Future angemeldeten Kundgebung im nahen Keyenberg

Zunächst setzen sich nur ein paar junge Frauen in weißen Maleranzügen auf den Hosenboden und verschwinden nach unten. Kurze Zeit haben Hunderte die Polizeikette durchbrochen und bewegen sich in Richtung der riesigen Kohlebagger. Polizisten begleiten sie, über allem schwebt ein Hubschrauber. Wenig später twittern Ende-Gelände-Aktivisten aus dem Tagebau: "Alle Bagger, die wir sehen können, stehen still!" Tatsächlich stoppt der Betreiberkonzern RWE zunächst vier von sechs Produktionseinheiten inklusive der Bagger aus Sicherheitsgründen. "Das ist ein Eingriff in die öffentliche Versorgung", sagt ein RWE-Sprecher, "aber es ist nicht so, dass wir Kraftwerke gleich abstellen müssen."

Die Behörden melden erste Verletzte: Acht Polizistinnen und Polizisten seien verletzt worden, vermutlich gestürzt, als sie versuchten, die Demonstranten aufzuhalten. Der NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens, kritisiert den "unglaublichen Leichtsinn" der Aktivisten. Die Abbaukanten im Tagebau seien auch deshalb so gefährlich, weil man oben oft gar nicht sehe, wenn darunter gar kein Grund mehr sei: "Da können Sie 40 Meter tief stürzen." Das Bündnis Ende Gelände wirft seinerseits der Polizei "massive Grundrechtseinschränkungen" vor.

Die Bahnstrecke zwischen den Braunkohlekraftwerken Neurath und Niederaußem bleibt noch am Sonntagnachmittag blockiert. Zwischenzeitlich haben sich etwa 800 Demonstranten auf die Schienen gesetzt. Das Braunkohlekraftwerk Neurath in Grevenbroich laufe dennoch weiter, weil RWE einen Kohlevorrat angelegt habe, sagt ein Konzernsprecher. Der Meiler von 1972 ist einer der größten Emittenten des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid in Europa.

Bereits am Samstag nimmt die Polizei mehrere Demonstranten in Gewahrsam, genaue Zahlen nennt sie bis Sonntagnachmittag nicht. Nach Angaben der Veranstalter haben sich mindestens 6000 Menschen an den Protesten beteiligt.

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Quelle:
SZ vom 24.06.2019
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