Süddeutsche Zeitung

Kinderpornographie im Internet:"Liste der Schande"

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Nirgendwo auf der Welt wird so oft im Internet nach Kinderpornographie gesucht wie in der Türkei - zumindest laut Google Trends. Die Meldung löste in dem muslimischen Land eine Welle der Empörung aus - und eine lebhafte Debatte in Presse, Parlament und Regierung, die begleitet wird von fast täglichen Razzien.

Kai Strittmatter, Istanbul

Vergangene Woche bekam die türkische Öffentlichkeit verstörende Zahlen vorgesetzt: Offenbar wird nirgendwo auf der Welt so oft im Internet nach Kinderpornographie gesucht wie in der Türkei.

Laut Google Trends, einem Service der Suchmaschine Google, stehen in einer Liste der Städte, aus denen der Suchbegriff ,,child porn'' nachgefragt wird, auf den ersten fünf Plätzen ausnahmslos türkische Städte.

Innenminister Abdulkadir Aksu nannte das Resultat umgehend eine ,,Katastrophe'', Ministerpräsident Tayyip Erdogan zeigte sich ,,ernsthaft irritiert''. Die Meldung hat eine lebhafte Debatte in Presse, Parlament und Regierung losgetreten, die begleitet wird von fast täglichen Razzien.

Eine ,,Liste der Schande'', nannte die Zeitung Milliyet die Google-Trends-Liste, die von der Schwarzmeerstadt Trabzon angeführt wird. Istanbul liegt an fünfter Stelle, erst dahinter folgen Städte aus Neuseeland, den USA und Australien.

Großangelegte Polizeiaktionen

Das Entsetzen in der Öffentlichkeit wuchs, als die ersten Ergebnisse großangelegter Polizeiaktionen bekannt wurden: Die Polizei hat nicht nur Studenten und - auf einen Tipp der deutschen Polizei hin - einen Anwalt festgenommen, die unter dem Verdacht stehen, Kinderpornographie verbreitet zu haben.

Die größten Schlagzeilen machte die Festnahme ausgerechnet eines Kinderarztes, der direkt aus seiner Luxusvilla im Ort Silivri bei Istanbul abgeführt wurde. Er soll eine hochprofitable pornographische Webseite betrieben haben. Darauf brüstete er sich, seine Webseite habe ihm so viel Geld eingebracht ,,wie ein Flugzeug, das mit Sonnenenergie fliegt''.

Zuletzt wurde am Dienstag der Betreiber eines Internetcafés festgenommen. Polizeisprecher Ismail Caliskan warnte jedoch, die Überwachung durch die Polizei werde nie lückenlos sein und mahnte alle Eltern, sie sollten ihre Kinder davon abhalten, über das Internet Kontakt mit Fremden aufzunehmen. Im türkischen Parlament wurden neue gesetzliche Regeln zum Schutz von Kindern diskutiert.

Die ,,Yeniden Gesellschaft für Gesundheit und Erziehung'' meinte, die Gesetze seien längst ausreichend, es hapere jedoch bei der Umsetzung. Yeniden hat eben erst eine Untersuchung zum Missbrauch von Kindern in der Türkei veröffentlicht.

Dem Bericht zufolge ist Kinderprostitution das größte Problem in den Städten, Leidtragende sind vor allem Mädchen zwischen 12 und 18. ,,Soziale Normen und Traditionen spielen oft eine größere Rolle als Gesetze'', heißt es in dem Bericht: Die Opfer sexuellen Missbrauchs hielten oft still, weil sie sich fürchteten vor der Verurteilung durch die Gesellschaft.

"Kaum Fortschritte"

In den Medien wird derweil nach den Ursachen geforscht. Der Fall des Kinderarztes, kommentierte etwa die liberale Zeitung Radikal, zeige mit ,,perverser Klarheit'', dass ,,die kapitalistische Profitgier das eigentlich pornographische'' sei. An bittere Zahlen erinnerte zudem Radikal-Kolumnist Yildirim Türker: Jedes fünfte türkische Kind werde gezwungen zu arbeiten, bevor es zwölf Jahre alt ist, oft bis zu zwölf Stunden am Tag.

Auf dem Land verweigern noch immer viele Eltern ihren Töchtern den Schulbesuch. Türker zitiert Statistiken, wonach 72 Prozent aller türkischen Kinder von ihren Eltern und 22 Prozent von ihren Lehrern geschlagen werden. Vor zehn Jahren habe die Türkei die UN-Konvention über Kinderrechte unterzeichnet, schreibt der Kolumnist: ,,Bis heute aber haben wir kaum Fortschritte gemacht.''

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SZ vom 21.12.2006
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