Süddeutsche Zeitung

Missbrauch in der katholischen Kirche:Kleine Summen, großer Schmerz

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Bistümer und Orden haben Missbrauchsopfern in den vergangenen zwei Jahren knapp 33 Millionen Euro gezahlt. Viel zu wenig, kritisieren Betroffene.

Von Annette Zoch

Katholische Bistümer und Orden in Deutschland haben in den vergangenen zwei Jahren rund 32,9 Millionen Euro an Betroffene sexuellen Missbrauchs ausgezahlt. Das geht aus dem am Freitag in Bonn vorgestellten Jahresbericht der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) hervor.

Diese Kommission war im Herbst 2020 von den deutschen Bischöfen beschlossen worden und ist seit dem 1. Januar 2021 tätig. Besetzt ist sie mit elf externen Fachleuten unter dem Vorsitz der ehemaligen Richterin am Oberlandesgericht Köln, Margarete Reske. Die UKA sichtet und entscheidet über Anträge von Betroffenen und bewilligt diese. Ausgezahlt werden die Beträge dann von den jeweiligen Diözesen oder Orden. Es sind freiwillige Zahlungen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.

Ab 1. März soll Widerspruch möglich sein

Laut UKA wurden im Jahr 2021 9,4 Millionen Euro ausgezahlt und im zweiten Jahr rund 23,5 Millionen Euro. Hinzu kamen etwa 800 000 Euro für bereits geprüfte Fälle, in denen Betroffene weitere Informationen zu den Taten mitgeteilt hatten. Vor dem Start des UKA-Verfahrens hatte die Kirche zudem insgesamt 7,2 Millionen Euro ausgezahlt, diese Summe wurde angerechnet.

Von Anfang an sah sich die UKA der Kritik von Missbrauchsbetroffenen ausgesetzt: Die Entscheidungen dauerten zu lange, seien intransparent, zudem gebe es keine Widerspruchslösung. Die Bischofskonferenz stockte die Geschäftsstelle der UKA daraufhin personell auf, außerdem wurde eine dritte Spruchkammer eingerichtet. Inzwischen, so Margarete Reske, tage die UKA viermal im Monat. Es dauere durchschnittlich nur noch bis zu maximal vier Monate, bis Betroffene Geld erhielten.

Zudem, so die Bischöfe, würden die Rechte Missbrauchsbetroffener gestärkt: Ab dem 1. März sollen Antragsteller nun einmalig und formlos Widerspruch gegen die Entscheidungen der UKA einlegen können. Dieser müsse nicht begründet werden, zudem erhielten Betroffene auch Einsicht in ihre Verfahrensakten - das gab es bislang nicht.

Der Unmut entzündete sich vor allem an den ausgezahlten Summen, die viele Betroffene angesichts der gravierenden und das ganze Leben bestimmenden Folgen als deutlich zu niedrig empfinden. Tatsächlich erhielten mehr als die Hälfte der Antragsteller, nämlich 54 Prozent, nur 15 000 Euro oder weniger. In 143 Fällen (rund acht Prozent) wies die Kommission mehr als 50 000 Euro an, in 24 Fällen (1,3 Prozent) mehr als 100 000. Insgesamt hat die UKA über 1809 Anträge entschieden. Drei Viertel der Antragsteller waren Männer, allerdings ergab sich bei den besonders schweren Fällen mit Summen ab 50 000 Euro ein höherer Frauenanteil.

Zum Vergleich: Vor dem Landgericht Köln fordert derzeit ein ehemaliger Messdiener ein Schmerzensgeld von 805 000 Euro vom Erzbistum Köln. Der Richter hatte in der ersten Verhandlung bereits angedeutet, dass er zu einem "sechsstelligen Betrag" tendiere.

Heimkinder waren besonders betroffen

Angesichts solcher im Raum stehender Summen - sind die Anerkennungs-Zahlungen da nicht tatsächlich zu niedrig? Mehr Geld sei immer schön, sagt Ernst Hauck, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht und UKA-Vizechef. Der Rechtsweg stünde jedem Betroffenen frei, allerdings trage jeder Betroffene mit einem Prozess auch ein Kostenrisiko. "Außerdem muss der Betroffene sich dann exponieren. Viele Antragsteller haben über den Missbrauch aber selbst im engsten Familienkreis noch nicht gesprochen", so Hauck.

Das Verfahren bei der UKA geschehe dagegen ohne Prozessöffentlichkeit und biete dem Einzelnen die Möglichkeit, schnell eine größere Summe zu erhalten. "Es ist keine Frage, dass man über das Verfahren diskutieren kann", so Hauck. "Aber insgesamt bietet es mehr Nutzen als Schaden und für die Betroffenen die Chance, dass sie sich in ihrem Leid anerkannt sehen."

Einen gesonderten Blick lenkte die UKA auf Heimkinder: Diese seien besonders häufig von sexuellem Missbrauch betroffen gewesen, auch begannen die Übergriffe bereits im jüngeren Alter, bei unter sechs Jahren. Der Missbrauch bei ihnen erstreckte sich zudem häufiger als bei Nicht-Heimkindern über mehr als elf Jahre.

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