Süddeutsche Zeitung

Italien:Römische Verhältnisse

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Lorenz Gallmetzer und Ulrich Ladurner spüren den jüngsten Krisen nach, wobei ja die Mini-Ära des Innenministers Matteo Salvini gerade vorbei zu sein scheint. Doch die beiden Journalisten graben tiefer, nicht immer sind ihre Argumente aber stichhaltig.

Von Werner Weidenfeld

Man kann Italien aus verschiedenen Perspektiven beobachten - vom großen Römischen Reich über den Faschismus des Benito Mussolini bis hin zu einem Alcide de Gasperi und den vom ihm betriebenen Römischen Verträgen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften. Italien ist der Ort der Christianisierung Europas und der Platz zahlreicher Elemente des Weltkulturerbes. Aber dann ist Italien auch das Land der Krisen, der populistischen Wirrnisse, der scharfen innenpolitischen Konflikte.

Italien ist einer der großen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Darum kommt immer wieder die Frage nach seiner Führungsleistung in Europa auf. So war es in den 50er Jahren, als der große Gründungsaufbruch stattfand - dann wieder in den 60er Jahren. Frankreich hatte die Initiative zu den Fouchet-Plänen ergriffen - der Entwurf einer Politischen Union als Krönung der Wirtschaftsgemeinschaft. Deutschland machte mit - und sofort kam die Überlegung auf, dass man eine dritte Führungsmacht benötige: Italien. Und Rom wollte diese Verantwortung und diese Rolle auch übernehmen, aber solche Führungsperspektiven scheiterten hier und später immer wieder an der krisengebundenen Schwäche Italiens. Italien war immer viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. So verstellte es sich selbst den Weg in die europäische Führung.

Was begründet diese spezifische Krisenfixierung Italiens über die vielen Jahrzehnte? Warum muss Europa auf einen Führungsbeitrag verzichten, den Italien mit Deutschland und Frankreich leisten sollte? Zwei aktuelle Bücher versuchen, bei der Antwort zu helfen, beide geschrieben von Autoren, die historische Kenntnisse mit journalistischer Erfahrung verbinden.

Beide Autoren fragen nach dem Faschismus-Problem

Lorenz Gallmetzer, in Südtirol geboren, langjähriger Mitarbeiter des ORF, weist zunächst zutreffend darauf hin, dass die gegenwärtigen Umwälzungen und Brüche in Italien nicht identisch sind mit den vielen Krisen in den vergangenen 70 Jahren. Und dann erwähnt er auch gewisse internationale Parallelen: "Der Siegeszug des nationalistischen, fremdenfeindlichen und gegen alle bisher Regierenden gerichteten Populismus in Italien steht im Einklang mit den Entwicklungen weltweit, von Trump in Amerika über Le Pen und die Gelbwesten in Frankreich bis hin zu Orbàn in Ungarn und Kaczynski in Polen." Hier hätte er auch die AfD in Deutschland aufführen müssen. Gallmetzer warnt jedoch nachdrücklich davor, den Fall Italien lächelnd als "kranken Sonderfall" abzutun. Und dann fallen Namen von Mussolini bis Berlusconi und Salvini.

Doch wie ist dieses Phänomen zu benennen? Der Autor fragt: "Ist es Faschismus? Präfaschistisch, totalitär, autokratisch, illiberal, souveränistisch oder einfach nur populistisch?" Wirklich präzise beantwortet wird diese elementare Grundsatzfrage leider nicht. Viele Beispiele aus dem politischen Alltag werden berichtet, die jeden einzelnen Begriff dieser Fragen mit Farbe versehen. Tabubrüche und Korruption gehören zum Alltag ebenso wie die grenzenlose Fantasie zu diversen kreativen Begünstigungen. Das Geld der Mafia kommt mit aller Selbstverständlichkeit zum Einsatz. Für die Beobachter ist Misstrauen angezeigt. Der Autor kommt zu dem Ergebnis: "In kaum einem anderen Land ist das Verhältnis der Bürger zu dem von ihnen gewählten Volksvertretern so zerrüttet und ambivalent zugleich." Und dies unterfüttert dramatische anthropologische Mutationen: die Auflösung sämtlicher traditioneller Gesellschaftsstrukturen. Dem Leser bleibt nach der Lektüre kein Hauch von Zuversicht, denn aus der Sicht Gallmetzers sind Reformen zur Modernisierung des Landes nicht in Sicht. Man könnte einwenden: Manches geht vielleicht doch schneller: Das Schlusskapitel ist dem Innenminister Matteo Salvini gewidmet - und der ist bereits jetzt schon nicht mehr im Amt. . .

Die zweite Neuerscheinung stammt von Ulrich Ladurner, ebenfalls in Südtirol geboren, als Journalist in Wien, Zürich und Rom tätig, bevor er zur Zeit nach Hamburg wechselte, deren Korrespondent in Brüssel er seit einigen Jahren ist. Europäische Beobachtersensibilität zum Thema Italien ist also gegeben. Und so liest man eine Fülle von Beispielen jener spezifischen Stimmungslage in einem doch historisch im Kern europäischen Land. Man liest von wachsendem Misstrauen gegenüber der EU, Vorgängen der Entfremdung: Gefühle beherrschen die Szene. Die Frage nach einer neuen Form von Faschismus kommt immer wieder auf - und die Zusatzüberlegung auch, ob es nicht doch nur eine spezifische Form von Populismus ist. Der Leser bleibt - weiter von den Beispielen und Sachverhalten beunruhigt - auf der Suche nach strategischen Antworten auf diese Problemfülle.

Immerhin in diesem Buch findet man dazu einige Antworten - wenn auch erst auf den letzten Seiten: Die europäische Politik muss Italien größeren Respekt zollen. Europa muss großzügiger sein. Die politische Partizipation ist in der EU deutlich zu verbessern und so ist die Legitimation Europas zu steigern. Man muss Ladurner zustimmen: Der höchst schwierige Fall Italien ist eben in seiner Substanz ein europäischer Fall.

Lorenz Gallmetzer: Von Mussolini zu Salvini. Italien als Vorreiter des modernen Nationalpopulismus. Verlag Kremayr u. Scheriau, Wien 2019. 192 Seiten, 22 Euro.

Ulrich Ladurner: Der Fall Italien. Wenn Gefühle die Politik beherrschen. Edition Körber, Hamburg 2019. 232 Seiten, 18 Euro.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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