Süddeutsche Zeitung

Italien:Was Fünf Sterne und Sozialdemokraten gemeinsam haben

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Von Oliver Meiler, Rom

Eine italienische Hassliebe entwickelt nun vielleicht doch noch Blüten. In der Not, versteht sich, aber wer will in diesen verrückten Zeiten wählerisch sein? Die Sozialdemokraten verhandeln nun also mit den ideologisch oftmals irrlichternden Cinque Stelle über eine mögliche Regierung für das Land.

Mit dieser Absicht sind die Delegationen beider Parteien am Donnerstag, dem zweiten Tag der Konsultationen in der Regierungskrise, hochgestiegen zum Quirinalspalast, wo sie Staatspräsident Sergio Mattarella erwartete. Mattarella möchte, dass dieser Vermählungsversuch möglichst schnell Klarheit bringt: für eine dauerhafte, inhaltlich konsistente Lösung. Dafür räumte er den Parteien nun Zeit bis kommenden Dienstag zu, wie er am Abend mitteilte, dann wird er zu einer zweiten Sondierungsrunde laden. Andernfalls, so ließ Mattarella alle deutlich wissen, gebe es bald Neuwahlen.

Und das wollen weder die Sterne noch die Sozialdemokraten. Sie haben es in der Vergangenheit schon zweimal versucht miteinander. Vor sechs Jahren, als die Fünf Sterne erstmals ins italienische Parlament zogen, wurden die Verhandlungen live übertragen: Es waren die Zeiten totaler Transparenz, alles wurde gestreamt. Vor anderthalb Jahren, als sie die Wahlen dann deutlich gewonnen hatten, saß man wieder am Tisch, diesmal ohne Direktübertragung. Doch der damalige Chef des Partito Democratico (PD), Matteo Renzi, sperrte sich gegen eine Einigung. Und so verbündeten sich die Sterne mit der rechten Lega Matteo Salvinis, mit der sie viel weniger verband als mit der Linken.

Bei den Themen Europa, Wirtschaft und Soziales finden die Parteien zusammen

Nun ist alles anders, sogar Renzi ist umgeschwenkt, mehr noch: Der alte Chef war es, der nach dem Bruch Salvinis mit den Sternen mit seiner überraschenden Öffnung die Option erst ermöglichte. Mal sehen, wie lange das hält. Arithmetisch ist eine Allianz jedenfalls mehrheitsfähig, selbst im Senat, weil sich zudem ein Dutzend Fraktionslose, acht Vertreter aus den autonomen Regionen und einige linke "Liberi e Uguali" dafür gewinnen lassen.

Auch programmatisch könnten beide auf etlichen Gebieten leicht zueinander finden, vor allem europa-, wirtschafts- und sozialpolitisch. Beide sind für den Euro, mögen die Sterne unter Salvinis Fuchtel auch gemischte Signale ausgesendet haben. Das Staatsdefizit? Es soll sich im Rahmen der internationalen Abmachungen bewegen, um nicht Brüssel und die Finanzmärkte zu alarmieren. Zur Wahl Ursula von der Leyens an die Spitze der EU-Kommission trugen beide Parteien bei.

Es eint sie die Sorge um die Ärmsten der Gesellschaft, um die im Arbeitsmarkt benachteiligten Jungen und Frauen, den zurückhängenden Süden: Mit Steuerentlastungen soll ihnen geholfen werden. Die Idee einer Flat tax, wie sie der Lega vorschwebte, wäre vom Tisch. Beide Parteien fordern einen Mindestlohn. Die Paradereform der Sterne, der Bürgerlohn - er entspricht eher deutscher Sozialhilfe - ließe sich umbauen und mit früheren Maßnahmen der Linken verschmelzen. Jedoch möchten die Sozialdemokraten ihn von der Arbeitslosenhilfe trennen. Bei den Renten gibt es eine markante Differenz: Die verabschiedete "Quote 100": 62 Altersjahre und 38 Beitragsjahre, hält der PD für unzeitgemäß und unfinanzierbar - und eine Zumutung für die jüngeren Generationen.

Beim Ausbau der Bürgerrechte steht man sich dagegen nahe. Auch die Sorge ums Klima verbindet. Vielleicht könnte das Bekenntnis zur Green Economy sogar Hauptpfeiler ihrer Allianz werden - ein klares Zeichen für die "Wende", wie sie Zingaretti einfordert. Den Cinque Stelle waren Umweltthemen immer wichtig. Da im Parlament keine Grünen sitzen, könnten sich die Genossen einen Teil des Kuchens nehmen, ist ja gerade sehr "in".

Kommen die Sterne bei der Migration aus der rechten Ecke zurück?

Schwierig, aber nicht unmöglich wäre die Einigung über ein verkleinertes Parlament. Die Sterne fordern eine Reduzierung um 345 Sitze. Der PD hatte mit Renzi auch eine Verminderung geplant. Sie war jedoch in eine größere Verfassungsreform gepackt, die auch das Zweikammersystem überholen sollte. Offenbar reden die Parteien auch bereits über ein neues Wahlgesetz und eine weichere Version der Autonomie für die Nordregionen, die den nationalen Zusammenhalt nicht so strapazieren würde wie der Lega-Vorschlag.

Rätselhaft ist, wie eine gemeinsame Migrationspolitik aussehen könnte. Zingaretti soll in Vorgesprächen gefordert haben, dass die kontroversen Immigrations- und Sicherheitsdekrete Salvinis aufgehoben werden. Wahrscheinlich will man dann auch die EU stärker in die Pflicht nehmen und auf eine Reform des Dubliner Abkommens dringen. Unter Salvinis Diktat haben sich die Fünf Sterne beim Umgang mit Migranten und Seenotrettern zusehends in die rechte Ecke verabschiedet; ihr linker Flügel distanzierte sich stets. Dieser Flügel um Abgeordnetenpräsident Roberto Fico wäre wohl prominenter vertreten in einer gelb-roten Regierung. Fico gilt als Kandidat für den Posten des Premiers.

Doch Personalfragen sind noch wacklig. Was soll aus Giuseppe Conte werden, dem geschäftsführenden Premier? Was aus Luigi Di Maio, dem derzeitigen Vizepremier und Chef der Sterne? Der Corriere della Sera brachte jetzt die rundum geschätzte, parteilose Verfassungsrichterin Marta Cartabia ins Spiel. Die 56-jährige Mailänderin wäre die erste Frau überhaupt im Amt einer italienischen Ministerpräsidentin.

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SZ vom 23.08.2019
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