Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingskrise:Hotspots in Italien bleiben kalt

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Von Oliver Meiler, Rom

Hotspot ist kein italienisches Wort, doch die Verständigung zwischen Brüssel und Rom in der Sache scheitert nicht an der Sprache. Im Süden Italiens sind sechs solche Hotspots geplant - Registrierzentren für Ankömmlinge aus Drittländern, für Flüchtlinge und Migranten also, die die Straße von Sizilien überquert haben, um nach Europa zu gelangen. Eines der Zentren liegt auf der Insel Lampedusa, vier auf Sizilien, ein weiteres in Apulien. Mindestens drei müssten eigentlich schon funktionieren. Doch nur eines ist bereits einsatzbereit, jenes nämlich auf dem südlichsten Vorposten des Kontinents, auf Lampedusa.

Vorgesehen ist, dass in diesen Hotspots in einem Schnellverfahren die Identität der Flüchtlinge festgestellt wird, inklusive ihrer Fingerabdrücke, damit die Daten dann einem Zentralsystem zugeführt werden können. Außerdem soll in den Zentren die erste Entscheidung gefällt werden, ob die Flüchtlinge Chance auf Asyl in Europa haben oder ob sie repatriiert werden. Die Europäische Kommission wirft den Italienern nun vor, sie würden diese Ordnungsmaßnahmen mutwillig hintertreiben, obschon sie aus Brüssel mehr als 500 Millionen Euro für die Verwaltung des Zustroms erhielten. Sie hat gar ein Verfahren eingeleitet, an dessen Ende Italien für seine Unterlassungen bestraft werden könnte.

Im Winter gehen die Ankunftszahlen zurück, weil die Seereise zu gefährlich ist

In Zahlen heißt das alles: Von Anfang Januar bis Ende November 2015 sind laut Erkenntnissen der EU-Grenzschutzagentur Frontex 144 186 Flüchtlinge in Italien angekommen; nur von 50 822 haben die italienischen Behörden die Fingerabdrücke registriert. Das italienische Innenministerium beanstandet zwar die Genauigkeit der Zahlen, räumt aber gleichzeitig ein, dass es die Fingerabdrücke nicht in jedem Fall aufnehme, weil es dafür keine Gewalt anwenden möchte. Vor allem Syrer und Eritreer weigern sich dagegen mit aller Kraft, weil sie befürchten, dass sie sonst nicht in die gewünschten Zielländer reisen dürfen.

Von diesen Menschen werden nur Fotos gemacht. Das reicht Brüssel nicht. Doch die Verärgerung in Rom ist mindestens ebenso groß, man fühlt sich ungerecht behandelt. Seit vergangenem September müssten täglich Hunderte Flüchtlinge aus Italien und Griechenland in andere Länder der EU umgesiedelt werden, damit die sogenannten Frontländer etwas entlastet werden. Der ausgemachte Plan sieht vor, dass binnen zweier Jahre 160 000 Flüchtlinge verteilt würden - im Monat wären das 6700. In den ersten drei Monaten des Programms wurden jedoch nur 180 Menschen umgesiedelt, weil etliche Partnerländer keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Italiens Premier Matteo Renzi spricht von mangelnder Solidarität und knüpft die Eröffnung der Hotspots an eine bessere Umsetzung des Umsiedlungsprogramms.

Dabei wäre die Zeit günstig für die Einrichtung der Zentren: Seit die Flüchtlinge andere Routen weiter östlich wählen, ist der Druck auf Italien deutlich gesunken. Im Winter gehen die Ankunftszahlen ohnehin zurück, weil die Seefahrt dann für gewöhnlich noch gefährlicher ist. Es herrscht also gerade kein Chaos auf Lampedusa und Sizilien. Das wären ideale Bedingungen für das besonnene Schaffen von Strukturen - wenn nur diese Verstimmung nicht wäre.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2015
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