Süddeutsche Zeitung

Israel:Keinen Meter aufgeben

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Viele junge Israelis und Palästinenser protestieren gegen den Nahost-Plan des US-Präsidenten - aus unterschiedlichen Gründen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Jerusalem/Fasail

Beide sind 18 Jahre alt, es liegen nur 30 Autominuten zwischen ihren Heimatorten, aber sie leben in verschiedenen Welten: die Israelin Ruth Messinger und Ahmad Abjat. Während Abjat an diesem Tag an einer Demonstration mit Tausenden anderen Palästinensern in Jericho teilnimmt, ist Messinger mit ihren Freunden ins Protestcamp gegenüber dem Amtssitz von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gezogen. Am nächsten Tag hat sie für ihr Abitur die Biologieprüfung zu bestehen, aber das kann warten. "Dies ist wichtiger. Hier geht es um unsere Zukunft." Sie ist von ihrem Heimatort Mevo Choron hergekommen, der rund zehn Kilometer von jenem Gebiet entfernt liegt, das sie "Judäa und Samaria" nennt. Für Abjat ist dieser Flecken Erde dagegen "Palästina", sein Heimatort ist Fasail.

"Ich bin der Ansicht, das ist unser Land. Das ganze Land!"

Warum sie hier sei? "Weil ich für mein Land einstehe. Ich kämpfe dafür. Ich will nicht, dass mein Land in einen Krieg gezogen wird. Ich will nicht, dass mein Land voller Blut sein wird." Warum sie davon ausgehe, dass dies geschehen werde? "Wegen des palästinensischen Terrors. Mein Vater hat Freunde verloren, meine Mutter auch."

Einen Staat, in dem Israelis und Palästinenser gemeinsam leben, kann sie sich nicht vorstellen. Aber auch eine Zwei-Staaten-Lösung lehnt sie ab - und damit den Plan von US-Präsident Donald Trump, auf dessen Basis Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vom 1. Juli an laut Koalitionsvertrag mit der Annexion von Teilen des Westjordanlandes beginnen kann. Der Plan sieht auch die Schaffung eines palästinensischen Staates auf dem restlichen Gebiet vor. Deshalb ist Messinger strikt dagegen. "Ich bin der Ansicht, das ist unser Land. Das ganze Land! Es wurde unseren Vätern und Müttern schon in der Bibel versprochen. Daran glauben wir!" Ob man dieses Land nicht mit den Palästinensern teilen könne? "Wir dürfen nicht einmal einen Meter aufgeben." Mitglieder ihrer Familie haben den Holocaust überlebt und stammen ursprünglich aus Tschechien, Polen und Deutschland. "Sie haben mit ihren Fingern, ihrem Blut und ihrem Schweiß das Land aufgebaut. Sie haben so hart dafür gearbeitet." Eine Stunde vorher hat der Palästinenser Abjat in Jericho auch die Bezeichnung "unser Land" benutzt und über die Besatzung durch die Israelis geklagt. "Sie wollen unser Land, sie wollen immer mehr von unserem Land. Und eigentlich wollen sie uns ganz weghaben. Aber ich werde nie meine Region, mein Haus und mein Land verlassen. Ich werde dafür kämpfen." In diesen Tagen hat er Abiturprüfungen, danach will er Anwalt werden und dafür in Abu Dis studieren - jener Stadt, in der die Reste eines Gebäudes stehen, das als Parlament für den Staat Palästina vorgesehen war.

Jetzt geht er auf Demonstrationen, um den Trump-Plan aufzuhalten. Denn dass den Palästinensern nur ein Teil des Westjordanlandes zugesprochen werde solle, hält er für "ungerecht und einen Verstoß gegen internationales Recht". Er gehe davon aus, dass die internationale Staatengemeinschaft einschreite. "Uns wurde seit Jahrzehnten ein eigener Staat versprochen. Mit Jerusalem als Hauptstadt."

In den nächsten Tagen werden politische Entscheidungen getroffen, die festlegen, wo und wie nicht nur Messinger und Abjat in Zukunft leben werden. Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Staje bot am Dienstag den Israelis über das Nahost-Quartett (UNO, EU, Russland und USA) direkte Verhandlungen an. Die Palästinenser fordern jedoch das gesamte Westjordanland und den Gazastreifen. Netanjahu beriet mit dem US-Nahost-Gesandten Avi Berkowitz und US-Botschafter David Friedman das weitere Vorgehen. Nach dem Treffen sagte Netanjahu: "Ich habe über die Frage der Souveränität gesprochen, an der wir in diesen Tagen arbeiten und weiter arbeiten werden in den nächsten Tagen." Dies könnte darauf hindeuten, dass Netanjahu nicht, wie von ihm selbst angekündigt, am 1. Juli erste Schritte zur Umsetzung des Trump-Plans vornimmt. Über die Folgen sind sich die Israelin und der Palästinenser einig: Die Spannungen werden auf jenem Stück Land, das beide ihre Heimat nennen, zunehmen. "Es wird ungemütlich", meint Messinger. Für Abjat "geht der Kampf weiter".

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SZ vom 01.07.2020
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