Süddeutsche Zeitung

Grabschändung in Iserlohn:Bestürzung und Solidarität

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Die Zerstörung muslimischer Gräber in Iserlohn bewegt viele Bürger, Ministerpräsident Wüst brandmarkt "Menschenfeindlichkeit der Täter". Polizei vermutet Rechtsextremisten hinter der Tat.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Die Schändung von 30 muslimischen Grabstellen hat die Bevölkerung der sauerländischen Stadt Iserlohn erschüttert. In der Neujahrsnacht hatten bislang unbekannte Täter etliche Grabsteine mit arabischer Schrift oder türkischen Insignien umgeworfen und zertrümmert sowie viele Grabfelder verwüstet. Am Sonntag riefen 300 Iserlohner, darunter Vertreter der Stadt und aller Religionsgemeinschaften, während einer Solidaritätsveranstaltung auf dem Hauptfriedhof zu Solidarität und Zusammenhalt auf. Mitglieder muslimischer Gemeinden wie offenbar auch die Polizei vermuten Rechtsextremisten hinter der Tat. Der Staatsschutz ermittelt.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst lobte die Solidaritätsbekundungen der Iserlohner als "starkes Zeichen der Vielfalt und des Füreinanders." Die Ehrung der Toten, so der CDU-Politiker, gehöre zur menschlichen Kultur, "in jedem Land, in jeder Religion." Die Schändung muslimischer Gräber sei abscheulich: "Die Menschenfeindlichkeit der Täter macht selbst vor der Totenruhe keinen Halt."

Der stellvertretende Vorsitzende des städtischen Integrationsrats Ayman Alaiz hatte die Iserlohner am Rande der geschändeten Gräber aufgerufen, sich als "Freunde und Bekannte, als Nachbarn und Kollegen" gegen die Täter zu stellen: "Gemeinsam sind wir stark. Wir sind mehr!" Da auf dem Weg zum zentral gelegenen muslimischen Gräberfeld keine christlichen Grabstellen geschändet worden seien, geht Alaiz von einem fremdenfeindlichen Anschlag aus: "Das war kein Zufall," sagte er der Süddeutschen Zeitung. Alaiz erinnerte daran, dass Unbekannte schon 2013 und zuletzt in der Neujahrsnacht 2021 ähnliche, wenn auch weniger große Zerstörungen angerichtet hätten.

Muss der Friedhof besser überwacht werden?

Etwa 12 000 der 91 000 Bürger Iserlohns sind Muslime. Die Stadt will jetzt mit allen Glaubensgemeinschaften beraten, ob und wie der großflächige Hauptfriedhof etwa mit Videokameras besser geschützt oder sogar nachts geschlossen werden soll. "Dies würde jedoch auch die Privatsphäre und Trauerarbeit vieler Angehöriger beschränken," gibt Vize-Bürgermeister Thorsten Schick zu bedenken. Der CDU-Politiker verweist darauf, dass sich in der Tatnacht eine muslimische Familie bis nachts um zwei Uhr am Grab ihres verstorbenen Sohnes versammelt hatte.

Schick weiß, dass die meisten muslimischen Familien bis heute ihre Verstorbenen in deren Herkunftsland beisetzen lassen. "Personen, die sich hier beerdigen lassen, setzen ein Zeichen: Deren Heimat ist Iserlohn, sie sind auch als Iserlohner beerdigt worden." Nach dem Anschlag von Neujahr, so bestätigten Muslime, hätten Angehörige Zweifel an ihrer Entscheidung geplagt.

Als "besonders perfide" bezeichnete Schick, dass von den Tätern auch das Grab eines Geflüchteten aus Ghana geschändet wurde: Der damals 30-jährige Mann hatte 2016 versucht, ein dreijähriges Kind aus einem See zu retten, und war dabei selbst ertrunken.

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