Süddeutsche Zeitung

Irland: Lissabon-Vertrag:Tricksen für Europa

Lesezeit: 3 min

Skeptische Iren: Vor einem zweiten Referendum über den Lissabon-Vertrag versucht Irland, den anderen EU-Partnern weitreichende Zugeständnisse abzuringen.

M. Winter

Seit einer Woche sind hohe irische Diplomaten in heikler Mission in Brüssel unterwegs. Sie nehmen ihre Kollegen aus den anderen Staaten der Europäischen Union einzeln ins Gebet. Im europäischen Jargon heißt das "Beichtstuhlverfahren", es wird nur in komplizierten und politisch brisanten Fällen angewendet.

Dabei geht es oberflächlich betrachtet nur darum, die politischen Zugeständnisse in eine rechtliche Form zu gießen, mit denen die Staats- und Regierungschefs der EU im vergangenen Dezember ihrem irischen Kollegen Brian Cowen aus der Klemme helfen wollten.

Der suchte nach dem Scheitern der Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag zur Reform der EU verzweifelt nach einem Weg, seine Landsleute ein zweites Mal zum Referendum zu bitten. Das Angebot der anderen EU-Staaten: Klarstellungen zu Vertragsteilen, die zu Unruhe auf der grünen Insel geführt hatten und die Versicherung, dass jedes Mitgliedsland seinen Kommissar in Brüssel behält.

Auf ihrem Gipfel am 19. Juni, also knapp zwei Wochen nach der Europawahl, wollen die Regierungen das Paket für Irland beschließen. Mit den Zugeständnissen als politischem Erfolg will Cowen im Herbst eine zweite Abstimmung über Lissabon wagen.

Doch dieses Paket zu schnüren ist offensichtlich so schwierig, dass sich die meisten Diplomaten ungewöhnlich zugeknöpft geben. Denn was die Iren von ihren Partnern als Preis für ihre Zustimmung erwarten, geht deutlich über das hinaus, was die meisten zu zahlen bereit sind.

Unkalkulierbaren Risiken

Weil niemand bereit ist, den Vertrag den unkalkulierbaren Risiken einer erneuten Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten auszusetzen, war schon im Dezember eines klar gewesen: Alles, was die Iren bekommen, muss unterhalb der "Ratifizierungsschwelle" liegen. Doch über genau die möchte Dublin jetzt zum Ärger seiner Partner springen. In den Einzelgesprächen mit den Vertretern der anderen Regierungen bestanden die irischen Diplomaten nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auf der Zusage, dass die ihnen versprochenen "Erläuterungen" zum Vertrag "so bald als möglich" in ein "Protokoll" umgewandelt und damit rechtlich Bestandteil des Vertrags werden sollen.

Das aber geht nicht ohne eine Ratifizierung durch alle EU-Staaten. Da aber auch die Iren wissen, dass eine erneute Befassung des gesamten Vertrags nicht stattfinden wird, schlagen sie einen Trick vor. Das Protokoll soll einfach an den nächsten Beitrittsvertrag angehängt werden. Das wäre voraussichtlich der für Kroatien. Da Beitrittsverträge wie europäische Verträge von allen ratifiziert werden müssen, würde das Protokoll so zu europäischem Primärrecht. Durch diese Hintertür aber wollen nicht alle gehen.

Unbestritten dagegen ist: Der Gipfel wird am 19. Juni einen "Beschluss" fassen, dass der Lissabon-Vertrag keine Auswirkungen auf die nationalen Gesetze zur Abtreibung hat, dass steuerliche Fragen in der EU der Einstimmigkeit unterliegen, und dass die außen- und sicherheitspolitische Neutralität Irlands respektiert wird. Das alles steht allerdings faktisch auch genauso im Vertrag.

Der zweite Stolperstein für eine Einigung ist der irische Wunsch nach einer "Erklärung zur Sozialpolitik". Zur amüsierten Verwunderung einiger Diplomaten möchte Dublin, das in den vergangenen Jahren immer fest an der Seite der britischen und amerikanischen Marktliberalen zu finden war, nun eine EU, in der "nicht allein das liberale Prinzip" herrschen darf.

Doch der Versuch, sozialpolitische Festlegungen über allgemeine Erklärungen hinaus zu treffen, war schon kürzlich auf einem Beschäftigungsgipfel in Prag gescheitert. Zu sehr halten die einzelnen Nationen an ihren sozialpolitischen Errungenschaften und Gewohnheiten fest. So haben die Briten schon klargemacht, dass sie sich auf diesem Feld nicht zu bewegen gedenken.

Misstrauisch auf die irische Forderung

Aber nicht nur London schaut misstrauisch auf diese irische Forderung. Denn wenn man ihr nachgibt, dann wird vielen Regierungen die unangenehme Frage gestellt werden, warum denn sie keine Sonderrechte und Sonderwünsche bei den Vertragsverhandlungen durchgesetzt haben. So ist es schwierig, eine stabile Balance zwischen dem zu finden, was die irische Regierung braucht, um mit Aussicht auf Erfolg in ein zweites Referendum zu gehen, und dem, was die anderen zugestehen können, ohne zu Hause in politische Erklärungsnöte zu geraten.

Das ist auch der Grund, warum die Iren sich gegenwärtig auf rein mündliche Verhandlungen beschränken. Niedergeschriebenes ist nur schwer wieder aus der Welt zu kriegen. Man werde wohl, sagt die irische Sprecherin in Brüssel, bis zur letzten Minute verhandeln. Auf genau diese spekulieren die Iren nach Ansicht von Diplomaten. Unter dem politischen Druck, den Lissabon-Vertrag in trockene Tücher zu bringen, würden sie Dublin dann weit entgegenkommen.

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SZ vom 03.06.2009
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