Süddeutsche Zeitung

Iran:Vom Befreier zum Despoten

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Katajun Amirpurs hervorragende Biografie erklärt, wie Khomeini die Religion in Iran politisierte.

Von René Wildangel

Strenger Blick, langer Bart, schwarzer Mantel, der schwarze Turban mit Verweis auf die Nachkommenschaft des Propheten - das Titelbild zeigt den personifizierten "Mullahstaat", wie die Islamische Republik nicht selten mit Blick auf Ruhollah Khomeini und seine Nachfolger verächtlich genannt wird. Im Westen verhasst, in Iran verehrt - so einfach ist es keineswegs. In seinem energischen Widerstand gegen den Schah faszinierte Khomeini (1902 - 1989) in den Siebzigerjahren auch westliche Intellektuelle wie Michel Foucault, in Iran ist er dagegen gerade für eine jüngere Generation heute der Urheber eines Systems, das Pressefreiheit, Menschen- und Frauenrechte unterdrückt. Katajun Amirpur, seit 2018 Professorin für Islamwissenschaftlerin an der Universität Köln, gelingt es hervorragend, die vielen Widersprüche, die sich in Khomeini, aber auch in der von ihm gegründeten Islamischen Republik manifestieren, darzustellen und ihre Hintergründe zu erklären.

Er war kein einflussreicher Gelehrter

Der grundlegendste Widerspruch liegt schon in der Existenz eben dieser Islamischen Republik: Denn die schiitische Geistlichkeit in Iran war in ihrer Mehrheit stets quietistisch geprägt und hielt sich aus der Politik weitgehend heraus. Gesellschaftlich bedeutend war sie dennoch, besonders die als "Quelle der Nachahmung" (Mardscha) bezeichneten größten Gelehrten, an deren religiösem Rat in allen Lebensfragen sich Hunderttausende orientieren. So einer ist der in Iran geborene Großayatollah Ali al-Sistani, der im März Papst Franziskus im irakischen Nadschaf empfing. Ein solcher einflussreicher Gelehrter war Khomeini eigentlich nicht. Er war weit mehr, ein "Revolutionär des Islam", so der Untertitel des Buches.

Amirpur legt erstmals in deutscher Sprache eine umfassende Biografie jenes Mannes vor, der wie kein Zweiter die jüngere Geschichte Irans geprägt hat. Dabei gelingt es der Autorin, der überlebensgroßen Gestalt des "Imam Khomeini", der eigentlich Ruhollah Musavi Khomeini hieß, nahezukommen, obwohl die Quellen zu seinem Wirken und Denken umfangreich und auch teils widersprüchlich sind. Durch ihren Überblick über die Literatur von und über Khomeini, aber auch seine religiösen und säkularen Zeitgenossen entsteht ein fundiertes und immer ausgewogenes Bild.

Auch sein Judenbild war voller Widersprüche

Etwa wenn die Autorin über Khomeinis Frauenbild schreibt. Obwohl in seiner eigenen Familie mit Mutter und Ehefrau starke Frauen präsent waren, denen Khomeini großen Respekt entgegenbrachte, war dieses Bild zunächst äußerst reaktionär geprägt. Aber Khomeini gestand Frauen zunehmend politische und soziale Rechte und Teilhabe zu, da er ihnen eine wichtige Rolle in der Islamischen Revolution zuwies. So unterstützen ihn auch säkulare Aktivistinnen, angesichts der Schleierverbote unter der Monarchie wurde der Hidschab zum Befreiungssymbol. Erst nach der Revolution begann die rasante Islamisierung des öffentlichen Lebens und die Durchsetzung eines Schleierzwangs für alle Frauen, die in dieser Form auch von Khomeini selbst vorher gar nicht propagiert worden war.

Auch in Bezug auf die jüdische Gemeinde in Iran, zu der Amirpur vielfach publiziert hat, zeigt die Autorin Widersprüche auf: Einerseits dienten antiisraelische und auch antisemitische Tiraden ebenso wie eine antiimperialistische Rhetorik und das Feindbild USA Khomeini zur Mobilisierung der Massen. Andererseits genossen die iranischen Juden stets ein gewisses Maß an Schutz, von der Rettung in Paris lebender iranischer Juden durch einen iranischen Diplomaten im Zweiten Weltkrieg bis hin zu Khomeinis Abgrenzung seiner antizionistischen Rhetorik von der iranischen jüdischen Gemeinde, was fortan den in Iran verbliebenen Juden als Versicherung gegen Angriffe diente.

Als Sudent verfasste er westlich gewandte Gedichte

Prägnant zeichnet Katajun Amirpur die Entwicklung von Khomeinis Wirken und Denken nach. 1922 ging der junge Khomeini zum Studium der schiitischen Theologie nach Qom. Die Haltung seiner berühmten Lehrer, Haeri Yazdi und später Hosein Borudscherdi, die für eine Trennung von Staat und Religion eintraten, lehnte er von Anfang an ab. Khomeini war in seinen Studienjahren eher ein Außenseiter und widmete sich anstelle der dominierenden theologischen Rechtsauslegung vor allem der Philosophie und Mystik. In einem kurzen Kapitel zeigt Amirpur, dass Khomeini auch äußerst weltlich gewandte Gedichte im Stile des iranischen Nationalpoeten Hafez verfasste, die sogar posthum veröffentlicht wurden.

So geriet er früh in die Konfrontation mit der persischen Monarchie, die sich immer weiter von den Nöten der iranischen Bevölkerung entfernt hatte. Khomeini prangerte die Missstände an und machte sich zum Anwalt der vielen Iraner, die von den übereilten und halbherzigen Reformen, mit denen sich der Schah nun retten wollte, nicht profitierten. Die zunehmende Repression des Schah-Regimes gegen seine Gegner wirkte als Brandbeschleuniger und löste Massenproteste aus. Schritt für Schritt radikalisierte sich eine politisch ausgerichtete Kaste schiitischer Geistlicher, die unter Führung Khomeinis mit anderen politischen Kräften agierte.

Mit Khomeinis Verhaftung am 5. Juni 1963 begann eine große Protestwelle mit Tausenden Toten. Auch die wichtigsten schiitischen Gelehrten zeigten nun ihre Solidarität und verliehen Khomeini die höchste Weihe als "Quelle der Nachahmung" - obwohl er dazu eigentlich nicht das nötige theologische Standing hatte. Der Titel verlieh ihm die notwendige Autorität, um sich später selbst ins Zentrum seiner Theorie der "Herrschaft des Rechtsgelehrten" (velayate faqih) zu stellen. Als Khomeini das Land verlassen muss, entwickelt er diese Lehre im irakischen Exil und später in Paris weiter. Erstmals machte er sie Amirpur zufolge 1970 in Nadschaf öffentlich. Damit revolutioniert er den politischen Islam und seine spezifische schiitische Variante, die nun auch mit einem konkreten Herrschaftsmodell einhergeht. Dies führte zum Erfolg der Islamischen Revolution 1979 und Khomeinis triumphaler Landung in Teheran - und einem neuen Regime, das nicht minder brutal seine Gegner bekämpft.

Was eine "Islamische Republik" sei, war vielen gar nicht klar

Amirpur macht klar, dass diese Entwicklung keineswegs alternativlos war, denn die Vorstellungen, was eine "Islamische Republik" überhaupt sein sollte, gingen weit auseinander. Viele säkulare Oppositionelle, aber auch religiöse ehemalige Mitstreiter waren mit den zunehmenden Einschränkungen der Freiheit nicht einverstanden. Doch der zermürbende Iran-Irak-Krieg und die zunehmende Militanz der Gegner Khomeinis, vor allem der Volksmudschahedin, lieferten den Vorwand für die gnadenlose Verfolgung der Opposition. Insbesondere die Rolle von Großayatollah Hosein Ali Montazeri, der Khomeini eigentlich nachfolgen sollte, stellt Amirpur umfassend dar. Seine 1200 Seiten starken Aufzeichnungen sind eine wichtige und in Deutschland kaum bekannte Quelle für die Interpretation der Entwicklung der Islamischen Republik in ihren frühen Jahren.

Als Khomeini 1989 im Alter von 87 Jahren starb, stand kein hochrangiger Gelehrter mehr für das oberste Staatsamt zur Verfügung. Während Amirpur bei Khomeini ein "Pendeln zwischen Flexibilität und Beständigkeit" erkennt, erwies sich das von ihm maßgeblich geprägte System in den folgenden Jahrzehnten als erstarrt und reformunfähig. Amirpur macht deutlich, dass dies auch das Ergebnis seiner in Kernpunkten unerschütterlichen ideologischen Agenda war, die er konsequent vorantrieb und umsetzte. Dabei half dem "Revolutionär des Islam" seine rhetorische Begabung, über die er "Millionen von Iranern für zwei Jahrzehnte mit wirkungsvollen Parolen und Schlagworten" versorgte, die bis heute nachwirken.

Ein unerlässliches Buch für jeden, der die komplexe Geschichte und Gegenwart Irans verstehen will.

René Wildangel ist Historiker und schreibt unter anderem zum Schwerpunkt Naher/Mittlerer Osten.

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SZ vom 05.07.2021
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