Süddeutsche Zeitung

Iran: "Betroffenheitserklärungen reichen nicht"

Lesezeit: 2 min

Vier deutsch-iranische Künstler und Intellektuelle rütteln das politische Berlin auf: Die Menschenrechtslage in der Islamischen Republik verschlechtert sich dramatisch, dem Regime gehe es nur noch um Machterhalt. Jegliches künftige Abkommen mit Teheran müsse deshalb über sicherheitspolitische Fragen hinausgehen.

Von Paul-Anton Krüger, München

Es ist nicht alltäglich, dass Verfechter von Menschenrechten an einem Tag hintereinander Termine bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dem außen-und sicherheitspolitischen Berater von Kanzlerin Angela Merkel und im Auswärtigen Amt bekommen, um ihr Anliegen vorzutragen. Vier führende deutsch-iranische Künstler und Intellektuelle hatten diese Chance am Donnerstag, dem internationalen Tag der Menschenrechte. Und sie haben die Gelegenheit genutzt, um auf die "katastrophale, gerade jetzt sich verschärfende" Situation in der Islamischen Republik hinzuweisen - alleine in den vergangenen Wochen habe es mindestens fünf weitere Verhaftungen gegeben, unter ihnen einer der bekanntesten Journalisten des Landes.

Die Schauspielerin und Regisseurin Maryam Zaree, die Künstlerin Parastou Foruhar, der Schriftsteller Navid Kermani und der Journalist und Publizist Bahman Nirumand appellierten an die Bundesregierung und die Europäische Union, bei den nach dem Machtwechsel in Washington nun wieder vorstellbaren Gesprächen mit dem Regime in Teheran nicht nur sicherheitspolitische Fragen zu verhandeln. Die Einhaltung der Menschenrechte müsse zu einem zentralen Bestandteil werden - auch eines möglichen künftigen Abkommens mit Teheran.

Vor allem das Thema ballistische Raketen gilt den Revolutionsgarden als Tabu

Der gewählte US-Präsident Joe Biden hat seine Bereitschaft erklärt, das 2015 geschlossene Atomabkommen wieder zu beleben, sollte Iran zur strikten Einhaltung der Bestimmungen zurückkehren. Allerdings machte sein designierter Sicherheitsberater Jake Sullivan die Bereitschaft Irans zu Verhandlungen über Folgevereinbarungen zur Voraussetzung. Ähnlich wie die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands verlangt er Gespräche auch über das Raketenprogramm und die Regionalpolitik Irans. Vor allem das Thema ballistische Raketen gilt den mächtigen Revolutionsgarden als Tabu, aber auch Kritik an der Lage der Menschenrechte tritt das Regime meist mit entschiedener Ablehnung entgegen.

Hier verlangte die Vierer-Gruppe nicht nur mehr Nachdruck, sondern auch gezielte Sanktionen gegen führende Mitglieder des Regimes. Es gehe keinesfalls darum, die ohnehin schon katastrophale Lage der Bevölkerung noch zu verschärfen, sagte Kermani. Die Menschen litten unter der verheerenden Corona-Pandemie und bräuchten dringend medizinische Güter und Zugang zu Impfstoffen. Das Regime reagiere erfahrungsgemäß aber "sehr pragmatisch", wenn seine eigenen wirtschaftlichen Interessen berührt seien. "Betroffenheitserklärungen reichen nicht aus, um etwas zu ändern", fügte Nirumand hinzu.

"Die Ideologie unter Turban und Umhang zieht nicht mehr"

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International beobachten ebenfalls eine generelle Verschlechterung der Lage. So habe der Justizapparat zuletzt wieder zunehmend grausame Körperstrafe wie die Amputation von Körperteilen oder Auspeitschen vollstreckt oder Vorbereitungen dafür getroffen. Auch geht der Sicherheitsapparat, der wie die Justiz unter der Kontrolle des Obersten Führers Ali Chamenei steht, mit großer Brutalität gegen jegliche Proteste vor. Das Regime sei nicht mehr in der Lage, die wirtschaftlichen Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, sagte Nirumand. Deswegen wachse die Unzufriedenheit. "Die Ideologie unter Turban und Umhang zieht nicht mehr", dem Regime gehe es nur noch um den Machterhalt mit allen Mitteln.

Die harte Linie zeigt sich aber auch am Fall der prominenten Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh. Foruhar wies darauf hin, dass Sotudeh trotz ihres schlechten Gesundheitszustandes wieder in Haft genommen worden sei. Sie hatte aus medizinischen Gründen Hafturlaub erhalten. Durch einen Hungerstreik war sie bereits stark geschwächt, kam mit Herzproblemen ins Krankenhaus. Dann kam noch eine Corona-Infektion hinzu, die sie sich offenkundig in Haft zugezogen hatte. Entgegen dem Rat der Ärzte ordnete die Justiz an, dass sie in das berüchtigte Frauengefängnis Qarchak bei Teheran einrücken muss. Sie schwebe durch die Rückkehr in die Haft "in Lebensgefahr". Die internationale Solidarität und auch Druck ausländischer Regierungen aber sind laut Kermani unverzichtbar für Sotudeh und andere, um weiter durchhalten zu können und sich weiter für Menschenrechte und Demokratie in Iran einzusetzen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5144203
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.