Süddeutsche Zeitung

Irak:Viele Tote bei Explosionen in Mossul

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Die Kämpfe zwischen dem IS und der irakischen Armee nehmen zu. Dabei gibt es einen Verdacht: Offenbar treibt die Terrormiliz Zivilisten in Gebäude und provoziert dann gezielt Luftangriffe.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Zwei heftige Explosionen erschütterten das Viertel Mossul al-Jadida, Neu-Mossul, im Westen der Stadt. Eine Woche ist das her, doch erst jetzt wird klar: Dabei sind Dutzende Menschen getötet worden, die meisten von ihnen vermutlich Zivilisten. Die Kämpfe zwischen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und Einheiten der irakischen Regierung in dem Gebiet waren so schwer, dass Rettungsmannschaften vorher keinen Zugang hatten - und jetzt nur Leichen aus zusammengestürzten Gebäuden ziehen. Es sind unterschiedliche Versionen darüber im Umlauf, was die Explosionen ausgelöst hat, etwa dass der IS die Häuser bewusst gesprengt habe.

Mehrere Kontaktpersonen der Süddeutschen Zeitung, die in den vergangenen Tagen in West-Mossul waren, sowie der Blogger Mosul Eye, ein Bewohner der Stadt, der im Dezember in ein sicheres Drittland geflohen ist, schildern dagegen in wesentlichen Elementen übereinstimmend einen anderen Hergang: Demnach hatte der IS zwei mit Sprengstoff beladene Kleinlaster vor den Gebäuden geparkt. Solche Autobomben sind eine der bevorzugten Waffen der Dschihadisten gegen die vorrückenden irakischen Truppen. Offenbar wurde einer der Lastwagen bei einem Luftangriff getroffen, wobei es auch Berichte gibt, dass Einheiten der paramilitärischen irakischen Bundespolizei Artillerie-Raketen auf das Gebiet gefeuert hätten.

Durch einen Treffer flog erst der eine Sprengstoff-Laster in die Luft, dann der andere. Die Wucht der Doppel-Explosion brachte offenbar einen Häuserblock zum Einsturz, von bis zu 30 zerstörten oder beschädigten Gebäuden ist die Rede. Die Angaben über Opferzahlen gehen weit auseinander. Von 40 geborgenen Leichen berichtete ein Mitarbeiter des Zivilschutzes, viele sind aber noch unter Trümmern verschüttet. Der Blogger Mosul Eye spricht von 130 Opfern, der mit eigenen Reportern an der Front präsente kurdische TV-Sender Rudaw berichtete gar, es seien 200 Menschen umgekommen. Unklar ist, ob der IS Zivilisten in den Gebäuden zusammengepfercht hat oder ob sie dort Schutz suchten, ebenso, ob sich IS-Kämpfer in den Gebäuden aufhielten.

Das US-Verteidigungsministerium teilte mit, man kenne die Berichte über zivile Opfer bei einem Luftangriff und habe eine Untersuchung eingeleitet. Die von den USA geführte Koalition hat in dem fraglichen Zeitraum Ziele in West-Mossul bombardiert, auch Flugzeuge und Hubschrauber der irakischen Streitkräfte fliegen Einsätze über der Stadt. Die tödliche Explosion fügt sich in ein Muster, laut Mosul Eye eine neue, perfide Taktik des IS, um die Zahl ziviler Opfer zu erhöhen: Nach seinen Informationen treiben die IS-Kämpfer Zivilisten in ein Gebäude und positionieren dann Scharfschützen auf dem Dach oder schießen von dort Mörsergranaten ab. Die irakischen Truppen, die unter Feuer geraten, fordern daraufhin Luftunterstützung gegen die Position an - getroffen werden aber auch die Zivilisten.

Seit irakische Einheiten sich vor drei Wochen der dicht besiedelten Altstadt mit ihren engen Gassen genähert haben und der IS in nur mehr 40 Prozent des Westteils eingekesselt ist, mehren sich Berichte geflohener Bewohner über zivile Opfer durch Luftangriffe. Nach der Lockerung von Einsatzregeln durch US-Präsident Donald Trump fliegen die USA deutlich mehr Luftangriffe über Mossul als noch bei der Rückeroberung des Ostteils vergangenes Jahr. Zugleich berichten sie, dass der IS gezielt mit Scharfschützen und Mörsergranaten Fliehende beschieße. Laut der Nachrichtenagentur Associated Press, die sich auf Ärzte an der Front beruft, wurden vom Beginn der Offensive am 19. Februar bis Anfang dieser Woche 750 Zivilisten verletzt oder getötet.

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SZ vom 25.03.2017
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