Süddeutsche Zeitung

Integration:Sumte hat's geschafft

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Von Peter Burghardt, Sumte

Natürlich haben damals auch sie diesen Satz der Kanzlerin gehört. Aber er klang ihnen erst fern hier in Sumte in der niedersächsischen Elbtalaue. Was hatten die großen Nachrichten schon mit ihrem kleinen Ort zu tun, zwischen Wiesen und Weiden und gewöhnlich ohne einen einzigen Ausländer? "Na ja", sagt Christian Fabel, der in jenen Jahren der Dorfvorsteher war. "Man begreift es erst, wenn man damit konfrontiert ist."

Fabel steht im Sommer 2018 vor eingewachsenen Hallen, auf die im Herbst 2015 dann plötzlich die Welt starrte. Wir schaffen das nicht, dachten sie, als die Meldung kam, dass Sumte mit seinen 102 Bewohnern 1000 Flüchtlinge aufnehmen sollte. Nach aufgeregten Debatten wurden es dann ungefähr 750 Menschen aus fernen Ländern, also sieben Fremde pro Einheimischem. Drei Jahre danach wissen Christian Fabel und andere Sumter: Wir haben es geschafft. Und nicht nur Fabel meint: Sie hätten danach noch mehr schaffen können, wäre das Abenteuer nicht einfach wieder still und leise zu Ende gegangen.

Ein Schild des ASB hängt noch am grünen Gitterzaun, der Arbeiter Samariter Bund war damals der Betreiber. Dazu ein paar Warnungen. Zutritt für Unbefugte verboten. Dieses Objekt wird kameraüberwacht. Aber die Anlage am Ortseingang ist so ausgestorben wie vorher, man hört nur noch den Wind, die Vögel, einen Traktor. Der Besitzer, ein Bremer, will verkaufen, bisher findet sich kein Käufer. "Es wurde einsam, als es vorbei war", sagt Fabel, ein stämmiger Mann mit Schnauzbart. "Jetzt ist bei uns wieder der Winterschlaf eingetreten." Er wird melancholisch, dabei hatte vor drei Jahren alles so verrückt begonnen.

Auf Krisensitzungen wurde gestritten, auch ein paar Rechte marschierten auf. Sumte: eine Hauptstraße, Höfe und Häuser, nach 800 Metern ist man durch. Der letzte Schwarze, scherzt Fabel, sei in Sumte wohl 1945 gesehen worden, als die Amerikaner kamen. Nachher kamen dann die Russen. Das Gebiet um die Gemeinde Amt-Neuhaus östlich der Elbe fiel der DDR zu, nach der Wende ließ sich dieser Landstrich wieder Niedersachsen zuordnen. Und nun: Afghanen, Syrer, Eritreer. Hunderte Asylsuchende. Aus 14 Nationen.

Die ersten trafen mit Bussen in einer nebligen, frostigen Novembernacht ein, empfangen unter anderem von Fernsehteams aus Japan und den USA. Das waren ja nun wirklich symbolische Bilder: Frauen, Männer und Kinder, die vor den Bomben aus Aleppo geflohen waren, wurden in ein norddeutsches Kaff gebracht, in dem sonst einmal in der Woche der Linienbus vorbeikommt. Hier, in diesem früheren Gebäude einer Inkassofirma, schien der Optimismus der Bundeskanzlerin einem besonderen Härtetest ausgesetzt zu werden. Ist das wirklich zu schaffen?

Dann war das meiste unaufgeregter, als viele befürchtet hatten. Der Arbeiter Samariter Bund übernahm souverän das Management, Bürgermeister Fabel ließ für Besprechungen seinen eigenen Betrieb im Stich. Zwischenfälle? Wenige. Stattdessen gab es auf einmal einige Arbeitsplätze und Freundschaften mehr, man sang deutsche Weihnachtslieder. Selbst der eine oder andere Kritiker merkte, dass in diesen Baracken einige nette Leute untergebracht waren und dass sie traurige, schreckliche und faszinierende Geschichten zu erzählen hatten, sofern sich eine gemeinsame Sprache fand. Man könnte sagen: Außer Stress kam auch allerlei Leben nach Sumte.

Im August 2016 zogen die letzten Schutzsuchenden wieder aus. Sie wurden irgendwohin verteilt, manche wohl abgeschoben. Wenige Flüchtlinge blieben in der Gemeinde, aber bei der Familie Fabel in Sumte zog vorübergehend ein junger Syrer ein. Er kocht mit Fabels Frau gerade Marmelade ein, und mit dem Computer kennt er sich besser aus als der Hausherr. "Ich sehe das wirklich als Bereicherung", sagt er, doch in diesem Monat beginnt der Gast aus Damaskus in Chemnitz ein Mathematik-Studium, ausgerechnet. Dann geht Sumtes letzter Flüchtling. Dabei könnten sie Zuwanderer gebrauchen, in der Gegend fehlen zum Beispiel Landwirte und Lehrer.

Fabel und andere hätten sich gewünscht, dass es mit den geräumten Sälen weitergeht. Sie hätten sich ein Integrationszentrum gewünscht, eine Einrichtung für Kinder oder Pflege, irgendwas, gerne für Flüchtlinge. Bisher scheiterten alle Pläne, Sumte wird nicht mehr gebraucht. "Wir dachten, die Sache könnte weiterlaufen", sagt Fabel, es hätte ein Beitrag für eine strukturschwache Region sein können. Sie hätten anders als die Ballungszentren sogar Platz. Der Quadratmeter Baugrund ist für gut 15 Euro zu kriegen. Doch Fabel hat manches gelernt, auch dies: Flüchtlinge zieht es eher in Städte. Und der Bund, vermutet er, würde beim nächsten Mal wohl kaum Hunderte von ihnen aufs abgelegene Land schicken wie nach Sumte, wo der nächste Bahnhof weit weg liegt.

So fährt der Linienbus weiterhin nur donnerstags. Derzeit macht wegen des Niedrigwassers obendrein die Elbfähre von Bleckede schlapp, man hätte gerne endlich eine Elbbrücke. Bekommen hat Sumte neue Straßenlaternen und eine neue Abwasserleitung, das war eine Forderung gewesen. Unbezahlbar aber sind die Erfahrungen mit Menschen, die sie sonst nie getroffen hätten. "Das Grundproblem konnten wir nicht lösen", sagt Christian Fabel, aber: "Was wir haben, ist ein guter Ruf." Wenn sich die Lage dort irgendwann beruhigt hat, dann würde Fabel gerne mal nach Syrien reisen.

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SZ vom 31.08.2018
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